In einer aktuellen Entscheidung musste sich der BFH mit der Frage der Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils zur Schenkungsteuer auseinandersetzen, vgl. BFH-Urt. II R 32/17 v. 19.2.2020, DB 2020, 2391.
Dieser Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin ist eine inländische Familienstiftung, die im Jahre 2008 von A, als Stifterin, gegründet wurde. Der Vorstand der Klägerin besteht aus der Stifterin und ihrem Ehemann. Zweck der Klägerin ist die Förderung und die Unterstützung der Familienmitglieder. Begünstigte waren zunächst die Stifterin, ihr Ehemann und ihre Tochter. Gesetz dem Fall der Geburt weiterer Abkömmlinge der Stifterin, war eine nach Generationen gestaffelte Begünstigung vorgesehen. Als Anfangsvermögen sicherte die Stifterin der Klägerin eine bestimmte Anzahl von Aktien der TU AG zu. Der Vorstand und der Aufsichtsrat der TU AG stimmten der Abtretung der Aktien am 5. November 2008 mit Wirkung zum 13. November 2008 zu. Am 28. Juli 2009 erfolgte die gemäß § 80 BGB erforderliche Anerkennung der Stiftung.
Mit Bescheid vom 12. Januar 2012 setzte das beklagte Finanzamt die Schenkungsteuer für das Stiftungsgeschäft auf den 13. August 2008 (Tag der Stiftungsgründung) fest und berücksichtigte dabei den Freibetrag gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG aF i.H.v. 51.200 €. Die Klägerin begehrte allerdings eine Berücksichtigung des Freibetrages gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG aF i.H.v. 205.000 €, weshalb die Klägerin gegen den erhaltenen Bescheid Einspruch und Klage erhob. Das Finanzgericht Münster gab der Klage mit der Begründung statt, dass weder eine Abtretung für den 13. August 2008 noch für einen anderen Zeitpunkt feststellbar sei. Der Schenkungsteuerbescheid wurde daraufhin aufgehoben. Später einigten sich die Klägerin und das beklagte Finanzamt auf eine Verschriftlichung der damaligen mündlichen Abtretung. Entsprechend reichte die Klägerin am 5. Juni 2015 ein Dokument ein, in dem sie und die Stifterin erklärten, dass am 1. November 2008 die mündliche Abtretung der Aktien erfolgt sei. Das beklagte Finanzamt setzte daraufhin mit Bescheid vom 22. Juni 2015 die Schenkungsteuer erneut unter Berücksichtigung des Freibetrages gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG aF fest. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage blieb vor dem Finanzgericht Münster ohne Erfolg. Mit ihrer Revision begehrt die Klägerin die Festsetzung der Schenkungsteuer unter Anwendung des Freibetrages i.H.v. 205.000 € (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG aF). Der gegen diese Entscheidung des FG Münster gerichteten Revision gab der BFH mit der Maßgabe statt, dass über den Antrag der Klägerin hinaus, der angefochtene Bescheid aufzuheben ist (§ 126 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FGO).
Rechtliche Würdigung
Das rechtskräftige FG-Urteil vom 11. November 2014 steht gemäß § 110 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 FGO der Besteuerung einer etwaigen bis zum 11. November 2014 vollzogenen Abtretung von Aktien der TU AG an die Klägerin entgegen.
Grundsätzlich entfalten nach § 110 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 FGO rechtskräftige Urteile Bindungswirkung für die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, vorausgesetzt, über den Streitgegenstand wurde bereits rechtskräftig entschieden. Das FG Münster hat in seinem Urteil vom 11. November 2014 bereits beschlossen, dass eine wirksame Abtretung nicht festgestellt werden konnte und zwar weder für den 13. August 2008 noch für einen anderen Zeitpunkt. Folglich hat das FG Münster bereits rechtskräftig über einen fehlenden Abtretungsvorgang entschieden. Diese rechtskräftige Entscheidung steht einer erneuten Besteuerung nunmehr entgegen. Daran ändert auch die nach dem Erwerbsvorgang erstellte schriftliche Bestätigung nichts. Auch wenn die Klägerin mit ihrer Revision nur die Berücksichtigung höherer Freibeträge begehrte, so hat der BFH richtigerweise den gesamten Schenkungsteuerbescheid aufgehoben. Ein über das Begehren hinausgehende Aufhebung eines Bescheides ist nämlich zulässig, wenn der BFH zu dem Ergebnis gelangt, dass der Bescheid insgesamt rechtswidrig ist.
Das FG Münster hatte ohne Not ausgeführt, dass weder für den 13. August 2008 noch für einen anderen Zeitpunkt eine Abtretung festgestellt werden konnte. Eine über den 13. August 2008 hinausgehende Entscheidung hätte es nicht bedurft. Diese Entscheidung hindert das beklagte Finanzamt nun an einer erneuten Festsetzung der Schenkungsteuer für eine bis zum 11. November 2014 erfolgte Schenkung. Aus der Sicht des beklagten Finanzamtes war die Entscheidung des FG Münster daher besonders misslich.Bedeutung für die Praxis: Die Entscheidung verdeutlicht eindrucksvoll die Tragweite der Rechtskraft eines Urteils. Zugleich schränkt der BFH die Bindung an das Klagebegehren bei einem sogenannten „Entscheidungsnotstand“ für Fallkonstellationen ein, in denen der Bescheid insgesamt rechtswidrig ist und somit durch die geregelte Änderung keine adäquate Rechtslage hergestellt werden kann.