Der BFH hat mit Urt. II R 43/18 v. 26.8.2020, juris, entschieden, dass der Grundbesitzwert eines Erbbaugrundstücks in so vielen wirtschaftlichen Einheiten festzustellen ist, wie Wohnungs- oder Teilerbbaurechte bestellt sind. Mit jedem Wohnungs- oder Teilerbbaurecht korrespondiere eine wirtschaftliche Einheit in Gestalt des anteiligen Erbbaugrundstücks.
Sachverhalt:
Mit notariell beurkundetem Vertrag haben die die Eltern des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) diesem im November 2014 ihre Miteigentumsanteile an einem Grundstück unentgeltlich übertragen. Das Grundstück war zu diesem Zeitpunkt mit drei Wohn- und Geschäftshäusern und einer Tiefgarage bebaut. Auf dem Grundstück lastete seit 1973 ein bis zum 31.3.2071 bestehendes Erbbaurecht. Dieses ist in der Weise ausgestaltet, dass mit jedem Anteil am Erbbaurecht das Sondereigentum an einer bestimmten Wohnung (Wohnungserbbaurecht) bzw. an bestimmten nicht Wohnzwecken dienenden Räumen (Teilerbbaurecht) verbunden ist. Die so entstandenen Wohnungs- und Teilerbbaurechte waren ab 1974 auf verschiedene Dritte übertragen worden.
Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) stellte in der Folge jeweils mit Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Grundbesitzwerts auf den 6.11.2014 für Zwecke der Schenkungsteuer (Feststellungsbescheid) am 01.03.2016 (Schenkung der Mutter) und am 2.3.2016 (Schenkung des Vaters) den Wert eines anteiligen Miteigentumsanteils fest, der im Umfang einem einzelnen Teilerbbaurecht entsprach und den das FA mit Hilfe der Nummer des Aufteilungsplans bezeichnete. Die Art der wirtschaftlichen Einheit stellte es mit „Wohnungseigentum als Erbbaugrundstück“ fest.
Mit Einsprüchen gegen diese beiden sowie weitere Bescheide machte der Kläger geltend, er habe nicht einzelne Wohnungserbbaurechte, sondern Miteigentum an einem Grundstück erworben. Daher seien insgesamt nur zwei Feststellungsbescheide – einer für die Schenkung seiner Mutter und einer für die Schenkung seines Vaters – zu erlassen. Zudem begehrte der Kläger die Berücksichtigung eines einheitlich höheren Liegenschaftszinssatzes.
Die Einsprüche wies das FA mit Einspruchsentscheidungen aus Januar 2017 als unbegründet zurück. Das Finanzgericht Münster (FG) gab der Klage jedoch statt und hob die Bescheide auf. Festzustellen sei der Wert des Erbbaugrundstücks, nicht der Wert der einzelnen Eigentumswohnungen. Der Kläger habe weder Erbbaurechte noch Eigentumswohnungen, sondern Eigentum an einem mit einem Erbbaurecht belasteten Grundstück erworben.
Gründe
In dem Urteil führt der BFH aus, dass der Grundbesitzwert des Erbbaugrundstücks in so vielen wirtschaftlichen Einheiten festzustellen ist, wie Wohnungs- oder Teilerbbaurechte bestellt sind.
Gemäß § 179 Abs. 1 der AO werden die Besteuerungsgrundlagen durch Feststellungsbescheid gesondert festgestellt, soweit dies in der AO oder sonst in den Steuergesetzen bestimmt ist. Nach § 12 Abs. 3 ErbStG i.V.m. § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG sind Grundbesitzwerte gesondert festzustellen, wenn die Werte für die Erbschaftsteuer von Bedeutung sind. Gegenstand der Bewertung sind die wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens, vgl. § 157 Abs. 3 Satz 1 BewG. Jede wirtschaftliche Einheit ist dabei gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 BewG für sich zu bewerten.
Bei der Bewertung von Grundbesitz für die Erbschaft- und Schenkungsteuer wird die wirtschaftliche Einheit vom Gegenstand des Erwerbs vorgegeben. Die Bestimmung des Erwerbsgegenstands erfolgt nach erbschaft- und schenkungsteuerrechtlichen Grundsätzen, die an das Zivilrecht anknüpfen. Wurde ein Miteigentumsanteil an einem Grundstück nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG freigebig zugewendet, bildet grundsätzlich der Anteil selbst die wirtschaftliche Einheit. Der zugewendete Anteil kann aber auch in mehrere wirtschaftliche Einheiten zerfallen, vgl. BFH-Urt. II R 22/04 v. 18.8.2004, BStBl. 2005 II, 19.
Was als wirtschaftliche Einheit anzusehen ist, bestimmt sich gem. § 2 Abs. 1 Satz 3 BewG nach der Verkehrsanschauung bzw. wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Dabei sind die örtliche Gewohnheit, die tatsächliche Übung, die Zweckbestimmung und die wirtschaftliche Zusammengehörigkeit der einzelnen Wirtschaftsgüter zu berücksichtigen, vgl. § 2 Abs. 1 Satz 4 BewG. Neben objektiven Merkmalen, wie die wesentlich vom Bauordnungs- und Bauplanungsrecht bestimmte örtliche Gewohnheit, sind danach auch subjektive Merkmale, wie die Zweckbestimmung, maßgebend. Letztere müssen jedoch zurücktreten, wenn sie mit objektiven Merkmalen in Widerspruch stehen.
Unter Beachtung der zuvor dargestellten Grundsätze gilt daher: Zu bewerten sind die einzelnen wirtschaftlichen Einheiten „mit Wohnungs- oder Teilerbbaurecht belasteter Anteil an einem Erbbaugrundstück“, auf die sich der Miteigentumsanteil bezieht.
Nach Ansicht des BFH zerfällt die wirtschaftliche Einheit „Erbbaugrundstück“ nach der Verkehrsauffassung in mehrere, der Anzahl nach mit diesen Rechten korrespondierende wirtschaftliche Einheiten, wenn auf einem Grundstück mehrere Wohnungs- oder Teilerbbaurechte lasten. So wie jedes Wohnungs- oder Teilerbbaurecht je eine wirtschaftliche Einheit darstellt, bildet der entsprechende Anteil des Erbbaugrundstücks nach der Verkehrsanschauung je eine wirtschaftliche Einheit für sich.
Hierfür sprechen insbesondere die Besonderheiten des Erbbaurechts, wonach demjenigen, zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, das veräußerliche und vererbliche Recht zusteht, auf oder unter der Oberfläche des Grundstücks ein Bauwerk zu haben. Das aufgrund des Erbbaurechts errichtete Bauwerk gilt gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG als wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts. Es gehört nach § 12 Abs. 2 ErbbauRG und § 95 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht zu den Bestandteilen des Grundstücks mit der Folge, dass der Eigentümer des Erbbaugrundstücks nicht zugleich Eigentümer der Bebauung ist.
Steht ein Erbbaurecht mehreren gemeinschaftlich nach Bruchteilen zu, können die Anteile gemäß § 30 Abs. 1 WoEigG in der Weise beschränkt werden, dass jedem der Mitberechtigten das Sondereigentum an einer bestimmten Wohnung oder an nicht Wohnzwecken dienenden bestimmten Räumen in einem aufgrund des Erbbaurechts errichteten oder zu errichtenden Gebäude eingeräumt wird. Ein Erbbauberechtigter kann sein Erbbaurecht entsprechend teilen.
In diesem Zusammenhang gilt es auch die §§ 192 Satz 1, 193 und 194 BewG zu beachten: Ist ein Grundstück mit einem Erbbaurecht belastet, sind die Werte für die wirtschaftliche Einheit Erbbaurecht und für die wirtschaftliche Einheit des belasteten Grundstücks gesondert zu ermitteln. Das Erbbaurecht und das erbbaurechtsbelastete Grundstück bilden danach stets selbständige wirtschaftliche Einheiten.
Verfahrensrechtlich hat die Finanzbehörde so viele Feststellungsbescheide zu erlassen, wie wirtschaftliche Einheiten „mit Wohnungs- oder Teilerbbaurecht belasteter Anteil an einem Erbbaugrundstück“ vorhanden sind. Dem steht nicht entgegen, dass der Bedachte zivilrechtlich und schenkungsteuerrechtlich einen Miteigentumsanteil an einem Erbbaugrundstück erwirbt. Ebenso wenig ist entscheidungserheblich, ob der den einzelnen Wohnungs- und Teilerbbaurechten entsprechende Anteil an dem Erbbaugrundstück einzeln veräußerbar ist oder das Erbbaugrundstück nur als Ganzes veräußert werden kann. Die Anwendung von durch die Gutachterausschüsse ermittelten, geeigneten Liegenschaftszinssätzen i.S. des § 193 Abs. 4 Satz 2 BewG setzt voraus, dass die Zinssätze für den Bewertungsstichtag (§ 11 ErbStG) ermittelt wurden. Sind zum Zeitpunkt der Feststellung des Grundbesitzwerts für Zwecke der Erbschaftsteuer den Finanzbehörden keine geeigneten Liegenschaftszinssätze mitgeteilt, sind die gesetzlichen Liegenschaftszinssätze gem. § 193 Abs. 4 Satz 2 Nrn. 1 oder 2 BewG heranzuziehen.