BFH-Entscheidung zur Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 GrEStG
Nach § 4 Nr. 1 GrEStG ist der Erwerb eines Grundstücks durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts (jPdöR) von der Besteuerung ausgenommen, wenn das Grundstück aus Anlass des Übergangs von öffentlich-rechtlichen Aufgaben oder aus Anlass von Grenzänderungen von der einen auf die andere jPdöR übergeht und nicht überwiegend einem Betrieb gewerblicher Art dient. Der BFH hat sich in seiner kürzlich veröffentlichten Entscheidung vom 28.2.2024 (Az.: II R 45/21) mit dem Veranlassungszusammenhang zwischen der Aufgabenübertragung und der Übertragung des für die Aufgabenerfüllung notwendigen Grundstücks („aus Anlass des Übergangs […]“) beschäftigt.
Sachverhalt:
Die Klägerin ist ein Studierendenwerk in der Form einer Anstalt des öffentlichen Rechts mit Sitz in der Stadt A. Ihr wurde im Jahr 1993 durch Satzung die Aufgabe der Errichtung und Bewirtschaftung von Einrichtungen für das studentische Wohnen übertragen.
Die Klägerin bewirtschaftet u.a. ein Studierendenwohnheim, das ursprünglich zu DDR-Zeiten im Volkseigentum stand. Nach der Wiedervereinigung wurde die Stadt A im Jahr 1991 als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen. Diese übertrug wiederum das Grundstück im Jahr 2003 auf die Universität der Stadt A. Im Jahr 2011 bestellte die Universität der Klägerin ein Erbbaurecht an dem Grundstück. Die Bestellung des Erbbaurechts erfolgte zum Zweck der Errichtung und des Betreibens von Studierendenwohnheimen und mit diesen im Zusammenhang stehenden Nebeneinrichtungen im Rahmen der gesetzlichen Aufgabe der Klägerin.
Das Finanzamt setzte wegen der Bestellung des Erbbaurechts Grunderwerbsteuer gegen die Klägerin fest. Mit dem Einspruch gegen den Grunderwerbsteuerbescheid macht die Klägerin geltend, ihr Erwerb sei nach § 4 Nr. 1 GrEStG von der Besteuerung ausgenommen. Die gegen die abweisende Einspruchsentscheidung erhobene Klage wurde vom Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern zurückgewiesen. Die hiergegen eingelegte Revision der Klägerin wurde vom BFH als unbegründet zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe:
Der BFH stellt fest, dass der grunderwerbsteuerbare Vorgang der Bestellung eines Erbbaurechts (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG), nicht nach § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG von der Grunderwerbsteuer befreit ist. Die Steuerbefreiungsvorschrift in § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG, die vom „Erwerb eines Grundstücks“ spricht, sei zwar auch auf die Bestellung von Erbbaurechten anzuwenden; die Bestellung des Erbbaurechts sei aber nicht aus Anlass des Übergangs einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe von der Universität auf die Klägerin erfolgt. Dies folgert der BFH aus dem notwendigen Veranlassungszusammenhang zwischen dem Übergang einer öffentlich-rechtlichen Aufgabe und dem Grundstückserwerb.
An einem solchen Veranlassungszusammenhang fehle es jedenfalls dann, wenn die öffentlich-rechtliche Aufgabe und das Eigentum an dem Grundstück bei der jPdöR, die das Grundstück überträgt, zu keinem Zeitpunkt zusammengefallen sind. Das Tatbestandsmerkmal „aus Anlass“ setze voraus, dass sich die öffentlich-rechtliche Aufgabe und das Grundstückseigentum vor deren Übergang auf die andere jPdöR einmal zeitgleich in der Hand der übertragenden jPdöR befunden haben. Eine Grundstücksübertragung könne nicht anlässlich eines Aufgabenübergangs im Sinne von § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG stattfinden, wenn die übertragende jPdöR niemals zugleich Inhaberin der öffentlich-rechtlichen Aufgabe und der Eigentumsrechte an dem der Erfüllung dieser Aufgabe dienenden Grundstück gewesen ist.
Unter Würdigung dieser grundsätzlichen Erwägungen zum Veranlassungszusammenhang kommt der BFH zu dem Ergebnis, dass im Streitfall die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG nicht vorlagen, da das Eigentum und die öffentlich-rechtliche Aufgabe sich niemals zeitgleich in der Hand der übertragenden jPdöR befunden haben: Die öffentlich-rechtliche Aufgabe der Bewirtschaftung des Studierendenwohnheims befand sich bereits seit Gründung des Studierendenwerks im Jahr 1991 durch Satzung bei der Klägerin; hingegen hatte die Klägerin im Jahr 2003 erstmals Eigentum an dem streitgegenständlichen Grundstück erworben.
Die Erbbaurechtsbestellung im Jahr 2011 erfolgte daher nicht aus Anlass der Aufgabenzuweisung an die Klägerin im Sinne des § 4 Nr. 1 Alternative 1 GrEStG, da bei der Universität zu keinem Zeitpunkt die öffentlich-rechtliche Aufgabe und das Eigentum an dem Grundstück zusammengefallen sind. Vor diesem Hintergrund war es auch unerheblich, dass der Universität möglicherweise einmal zu DDR-Zeiten die öffentlich-rechtliche Aufgabe der Errichtung und Bewirtschaftung von den Studierendenwohnheimen zugewiesen worden war.
Einordnung:
Der BFH betont in seiner Entscheidung den eng auszulegenden Anwendungsbereich der Steuerbefreiungsvorschrift in § 4 Nr. 1 GrEStG. Die Regelung solle nach ihrem Sinn und Zweck den Wechsel des Trägers einer (öffentlich-rechtlichen) Aufgabe von der Belastung mit Grunderwerbsteuer freihalten, sofern mit diesem Trägerwechsel auch ein (rechtsgeschäftlicher oder gesetzlicher) Übergang des Eigentums verbunden ist. Hingegen bezwecke die Regelung nicht, eine Besteuerung der öffentlichen Hand generell zu begrenzen und den Steuerzugriff nur zur Sicherung der Wettbewerbsneutralität zuzulassen.
JPdöR sind vor diesem Hintergrund gut beraten, das Vorliegen der Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 GrEStG nicht vorschnell anzunehmen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil es zu der Steuerbefreiungsvorschrift in § 4 Nr. 1 GrEStG wenig höchstrichterliche Rechtsprechung gibt und in diesem Zusammenhang einige Rechtsfragen höchstrichterlich ungeklärt sind. Dies betrifft etwa die Frage, ob das Zusammentreffen der Aufgabe und des Grundstücks im Rahmen des Veranlassungszusammenhangs für eine Mindestdauer gegeben sein muss oder ob das Vorliegen kraft juristischer Sekunde ausreicht, vgl. Brill, NWB 2024, 2234, 2236. Ebenso ist fraglich, ob die von der Steuerbefreiungsvorschrift des § 4 Nr. 1 GrEStG umfassten öffentlich-rechtlichen Aufgaben nur solche sind, die der jPdöR als Träger der öffentlichen Gewalt eigentümlich und vorbehalten sind, vgl. Kugelmüller-Pugh, in: Viskorf, GrEStG, 21. Aufl. 2024, § 4 Rz. 16.
Verfasst von:
Jacob Eisenreich
Wissenschaftlicher Mitarbeiter