Erneute BFH-Entscheidung zur optionalen Vollverschonung von Betriebsvermögen – Erstmaliger Antrag zur optionalen Vollverschonung von Betriebsvermögen im Rahmen eines Änderungsbescheids
Das Antragsrecht zur Verschonung des erbschaftsteuerlichen Betriebsvermögens hat den BFH nach seiner letzten diesbezüglichen Entscheidung II R 25/20 vom 26.7.2022 erneut beschäftigt, siehe zu der Entscheidung aus 2022 unseren Newsletter-Beitrag vom 6.12.2022. In der aktuellen Entscheidung II R 44/21 vom 11.12.2024 hat sich der II. Senat zur Möglichkeit einer erstmaligen Antragstellung zur vollständigen Verschonung des erbschaftsteuerlichen Betriebsvermögens im Rahmen eines Änderungsbescheids und der Reichweite der Berücksichtigung dieses Antrags geäußert.
Sachverhalt:
Der Vater des Klägers schenkte ihm mit notariellem Vertrag vom 21.3.2013 verschiedene Mitunternehmeranteile. Gegen den Kläger wurde daraufhin mit Bescheid vom 20.4.2016 Schenkungsteuer unter Berücksichtigung der Regelverschonung nach §§ 13a, 13b ErbStG a.F. festgesetzt. Der Bescheid erging nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AO im Hinblick auf die durch das Urteil des BVerfG angeordnete Verpflichtung zur Neuregelung der erbschaftsteuerlichen Betriebsvermögensvergünstigungen vorläufig und wurde ansonsten bestandskräftig. Am 21.12.2018 erging erstmals ein Feststellungsbescheid über den Wert der übertragenen Anteile und des Verwaltungsvermögens auf den Stichtag, der nochmals am 10.10.2019 geändert wurde. Unter Berücksichtigung dieser Feststellungen erließ das Finanzamt einen nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderten Schenkungsteuerbescheid, wiederum unter Berücksichtigung der Regelverschonung. Hiergegen legte der Kläger nun Einspruch ein und gab zudem die Erklärung zur optionalen Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG a.F. ab. Die Voraussetzungen für die Gewährung der Vollverschonung waren am maßgeblichen Stichtag unstreitig erfüllt. Das Finanzamt folgte dem Antrag auf Vollverschonung unter Hinweis auf die eingetretene Bestandskraft nicht. Das FG gab nach erfolglosem Einspruchsverfahren der Klage teilweise statt und gewährte die Vollverschonung in dem Umfang, in welchem die Steuer durch den nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO Änderungsbescheid erhöht worden war. Die vom Finanzamt eingelegte Revision wies der BFH als unbegründet zurück und bestätigte damit die Entscheidung der Vorinstanz.
Entscheidungsgründe:
Der BFH stellt fest, dass das FG zu Recht entschieden hat, dass die Vollverschonung für die Schenkungsteuer auf Antrag des Klägers in dem Umfang zu gewähren ist, in dem die Steuer in dem angefochtenen Änderungsbescheid heraufgesetzt wurde. Er folgt damit – wie bereits das FG – den allgemeinen Grundsätzen zu Antrags- oder Wahlrechten, die bis zur (partiellen) Bestandskraft der entsprechenden Steuerbescheide ausgeübt werden können. Die Erklärung zur optionalen Vollverschonung von Betriebsvermögen nach § 13a Abs. 8 ErbStG a.F. entspreche einem solchen Antragsrecht. In den Fällen, in denen der Bescheid lediglich partiell noch nicht bestandskräftig ist und in denen Änderungsbescheide auf der Grundlage einer selbstständigen Änderungsvorschrift (etwa den §§ 172 ff. AO) die teilweise Durchbrechung der Bestandskraft bewirken, begrenze § 351 Abs. 1 AO jedoch die Reichweite der Auswirkungen des Antrags. Die Ausübung von Antrags- oder Wahlrechten könne gemäß § 351 Abs. 1 AO nur insoweit berücksichtigt werden, als die dadurch zu erzielende Steueränderung den durch die partielle Durchbrechung der Bestandskraft gesetzten Rahmen nicht verlässt. Dies gelte auch für die Berücksichtigung der Erklärung zur optionalen Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG a.F. Der Berücksichtigung der Optionserklärung im Rahmen des § 351 AO könne – entgegen der Auffassung des Finanzamts – auch nicht entgegengehalten werden, dass die ursprüngliche Steuerfestsetzung keinen materiellen Fehler aufweist, der zu berichtigen wäre. Ein materieller Fehler läge nämlich auch dann vor, wenn erst die nachträgliche, aber gleichwohl zulässige Antragsstellung zu einer materiell unrichtigen Besteuerung führe. Das FG habe deshalb die Vollverschonung zutreffend in dem Umfang gewährt, in dem die Steuer durch den auf § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO gewährten Umfang ergangen war. Die Steuer war mithin in der Höhe des Ausgangsbescheids vom 20.4.2016 festzusetzen.
Einordnung:
Die Entscheidung des BFH reiht sich in die bisherige Linie der Rechtsprechung zum Recht der Inanspruchnahme der Vollverschonung ein. Sie ist zwar zum alten Recht ergangen, dürfte aber wegen der allgemeinen Grundsätze, auf deren Grundlage der II. Senat hier argumentiert, auch auf die aktuelle Möglichkeit der Ausübung der Option zur Vollverschonung in § 13a Abs. 10 Satz 1 ErbStG übertragbar sein. In diesem Zusammenhang ist in der Beratungspraxis nach Ergehen eines Änderungsbescheids zu einer bestandskräftigen Steuerfestsetzung stets zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Vollverschonung (ggf. entgegen der vorherigen Einschätzung) vorliegen und noch ein Antrag auf Vollverschonung zu stellen ist, um die Steuerlast – zwar nicht vollständig, aber zumindest auf das Niveau des ursprünglichen Steuerbescheids – zu senken.
Selbstredend sollte man sich auf diese nachträgliche – begrenzte – „Rettungsmöglichkeit“ nicht verlassen. Der Antrag auf Optionsverschonung kann bei einem Erwerb von mehreren wirtschaftlichen Einheiten begünstigungsfähigen Vermögens für jede wirtschaftliche Einheit gesondert bis zum Eintritt der materiellen Bestandskraft gestellt werden. Es empfiehlt sich daher, den ursprünglichen Schenkungsteuerbescheid möglichst lange offen zu halten und in diesem Stadium die Voraussetzungen für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vollverschonung eingehend zu prüfen. Zu beachten ist allerdings, dass der Antrag auf Vollverschonung nicht vorschnell gestellt werden sollte, da der einmal gestellte Antrag – zumindest nach Auffassung der Finanzverwaltung, siehe die Gleich lautenden Erlasse S 3812a vom 22.12.2023, BStBl. 2024 I, 69, Tz. 11 – den Rückfall auf die Regelverschonung sperrt.
