Doppeltes Satzungserfordernis im Rahmen des Kooperationsprivilegs gem. § 57 Abs. 3 AO – FG Hamburg Urt. 5 K 11/23 v. 26.9.2023
Das Urteil des FG Hamburg vom 26.9.2023 (Az.: 5 K 11/23) ist, soweit ersichtlich, die erste Entscheidung, die sich mit dem sog. „doppelten Satzungserfordernis“ im Rahmen des Kooperationsprivilegs gem. § 57 Abs. 3 AO befasst.
Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten in dem Verfahren vor dem FG Hamburg über die Feststellung der formellen Satzungsmäßigkeit nach § 60a AO. Insbesondere ist streitig, ob die Klägerin unmittelbar i.S.d. § 57 Abs. 3 AO steuerbegünstigte Zwecke verfolgt, obwohl die Satzung ihres Kooperationspartners (eine Stiftung) keine diesbezügliche, wechselseitige Regelung enthält.
Die Klägerin wurde im Jahr 2022 mit dem Zweck gegründet, Service- und Dienstleistungen im Bereich Finanzbuchhaltung und Rechnungswesen gegenüber der A-Stiftung zu erbringen. Die Stiftung ist an der Klägerin nicht beteiligt. Die Stiftung verfolgt unstreitig ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigte Zwecke im Sinne der AO.
In ihrem Gesellschaftsvertrag hielt die Klägerin fest, dass sie ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne der AO verfolge. Der Satzungszweck werde dabei durch planmäßiges Zusammenwirken mit der A-Stiftung verwirklicht.
Der Klägerin wurde zunächst ein Bescheid nach § 60a Abs. 1 AO erteilt. Später erlangte das beklagte Finanzamt aber davon Kenntnis, dass die A-Stiftung als leistungsempfangende Körperschaft – entgegen AEAO zu § 57, Nr. 8 Abs. 1 AEAO – nicht beabsichtige, ihre Satzung dahingehend zu ändern, dass (auch) in dieser das planmäßige Zusammenwirken mit der leistungserbringenden Körperschaft aufgenommen wird. Im Ergebnis wurde der Bescheid nach § 60a Abs. 5 AO mit Wirkung ab dem 1.1.2023 aufgehoben.
Entscheidungsgründe:
Das FG erachtete die Klage als begründet. Die Klägerin erfüllt die satzungsmäßigen Voraussetzungen der §§ 51, 59, 60 und 61 AO. Dem beklagten Finanzamt stand keine Aufhebungsbefugnis zu.
In den Entscheidungsgründen erörtert FG im Wesentlichen die Frage, ob die Klägerin ihre Satzungszwecke unmittelbar i.S.d. § 57 Abs. 3 AO verfolgt. Nach Einführung des § 57 Abs. 3 Satz 1 AO durch das JStG 2020 verfolgt eine Körperschaft ihre steuerbegünstigten Zwecke auch dann unmittelbar i.S.d. § 57 Abs. 1 AO, wenn sie satzungsgemäß durch planmäßiges Zusammenwirken mit mindestens einer weiteren Körperschaft, die im Übrigen die Voraussetzungen der §§ 51 bis 68 AO erfüllt, einen steuerbegünstigten Zweck verwirklicht.
Entgegen der Auffassung des Beklagten (und Teilen der Literatur) steht es nach Ansicht des FG der Anwendung des § 57 Abs. 3 AO nicht entgegen, dass die Kooperation mit der Klägerin nicht in die Satzung der Stiftung aufgenommen ist. Das FG gelangt zu diesem überzeugenden Ergebnis, indem es den § 57 Abs. 3 AO auslegt. Aus dem Wortlaut des § 57 Abs. 3 AO lasse sich nur entnehmen, dass die leistungserbringende Körperschaft satzungsgemäß durch planmäßiges Zusammenwirken mit einer Körperschaft zusammenwirke, die „im Übrigen die Voraussetzungen der §§ 51 bis 68 AO erfüllt“. Blendet man aber die Kooperation mit der Klägerin aus („im Übrigen“), verfolgt die Stiftung ihre steuerbegünstigten Zwecke ausschließlich und unmittelbar. Zudem würde es dem Sinn und Zweck der Norm, der Vereinfachung und Flexibilisierung des Gemeinnützigkeitsrecht, zuwiderlaufen, wenn alle Körperschaften ihre Satzung ändern müssten, denn dadurch entstünde ein erheblicher Aufwand für die Gemeinnützigen. Die Systematik des Gesetzes spreche weder für noch gegen ein doppeltes Satzungserfordernis und sei insofern unergiebig. Auch aus der Gesetzesbegründung lasse sich das doppelte Satzungserfordernis nicht herleiten.
Einordnung:
Das Kooperationsprivileg nach § 57 Abs. 3 AO wurde durch das JStG 2020 eingeführt. § 57 Abs. 3 AO regelt seitdem, dass eine Körperschaft ihre steuerbegünstigten Satzungszwecke auch dann unmittelbar i.S. des § 57 Abs. 1 Satz 1 AO erfüllt, wenn sie satzungsgemäß und planmäßig mit mindestens einer weiteren gemeinnützigen Körperschaft einen gemeinnützigen Zweck verwirklicht. Die Norm soll es ermöglichen, Tätigkeiten auszugliedern, die isoliert keinen steuerbegünstigten Zweck verfolgen.
Im Zusammenhang mit der Einführung des Kooperationsprivilegs in § 57 Abs. 3 AO stellen sich diverse Fragen zur Auslegung der gesetzlichen Neuregelung, die bereits außerhalb finanzgerichtlicher Verfahren diskutiert wurden, vgl. etwa Binger/Röglin, DStR 2022, 240. Die Finanzverwaltung stellt im Anwendungserlass zu § 57 Abs. 3 AO sehr weitgehende Anforderungen an die Umsetzung des Kooperationsprivilegs. Sie geht u.a. restriktiv davon aus, dass die Satzungen aller Körperschaften, die miteinander kooperieren, mit Blick auf § 57 Abs. 3 AO angepasst werden müssen, vgl. AEAO zu § 57, Nr. 8 Abs. 1 AEAO.
Um einer Konfrontation mit dem Finanzamt zu entgehen und nicht in die Gefahr der Aufhebung des Bescheids nach § 60a AO zu kommen, musste bislang empfohlen werden, die Satzungen aller Körperschaften – wenn möglich – entsprechend der Verwaltungsauffassung anzupassen, vgl. Korn/Strahl, NWB 2022, 3441, 3450; Strahl, koesdi 2022, 22669, 22670. Das FG Hamburg hat nun eine erste finanzgerichtliche– zwar von der Verwaltungsauffassung abweichende, aber inhaltlich in weiten Teilen überzeugende – Rechtsauffassung geäußert. Bis zur letztinstanzlichen Klärung der Rechtsfrage ist es aber in der gemeinnützigkeitsrechtlichen Beratungspraxis weiterhin am sichersten, auch die Satzung der leistungsempfangenden Körperschaft(en) anzupassen.
Hinweis:
Das FG hat die Revision zum BFH zugelassen. Das Revisionsverfahren ist zwischenzeitlich beim BFH unter dem Az. V R 22/23 anhängig. Im Interesse schnellstmöglicher Rechtssicherheit wäre eine zeitnahe Entscheidung wünschenswert.
Verfasst von:
Vivienne Paschmanns, LL.M.,
Dipl. Finanzwirtin (FH) Steuerberaterin