Einziehung von Taterträgen nach §§ 73, 73c StGB nur bei vollendeter Steuerhinterziehung
Der BGH hatte mit Urteil 1 StR 360/21 v. 8.3.2022 über einen Fall zu entscheiden, bei dem es in einem Gastronomiebetrieb zu einer Manipulation von einem elektronischen Kassensystem gekommen war, welche die Verkürzung von Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer zur Folge hatte. Bei der Beurteilung der Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung hat der BGH die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen der Vorinstanz beanstandet; außerdem hat er sich zu der Strafbarkeit wegen Fälschung technischer Aufzeichnungen gemäß § 268 StGB geäußert.
Im Zusammenhang mit der hier näher zu behandelnden Frage der Einziehung von Taterträgen nach §§ 73, 73c StGB hat der BGH klargestellt, dass eine Einziehung nach §§ 73, 73c StGB bei einer Steuerhinterziehung eine Tatvollendung voraussetzt. Bleibt die Steuerhinterziehung bloß im Versuchsstadium stecken, liegen die Voraussetzungen für eine Einziehung nicht vor.
Sachverhalt:
Die Angeklagte führte nach den Feststellungen der Vorinstanz – LG Oldenburg – als Einzelunternehmerin im Tatzeitraum von 2011 bis 2017 ein Restaurant.
In ihren Umsatzsteuervoranmeldungen erklärte die – dem Grunde nach geständige – Angeklagte ihre Ausgangsumsätze nicht vollständig. Zudem gab sie entgegen der ihr bekannten Verpflichtung für die Besteuerungszeiträume 2011 bis 2015 weder Umsatzsteuerjahres- noch Einkommen- oder Gewerbesteuererklärungen ab, obwohl sie mit dem Restaurant Ausgangsumsätze und Betriebsumsätze erzielte.
Das Finanzamt erließ hinsichtlich der Ertragsteuern jeweils vor dem allgemeinen Abschluss der Veranlagungsarbeiten Schätzungsbescheide, in denen es aber von wesentlich geringeren Gewinnen, als tatsächlich erzielt, ausging.
Im Mai 2017 wurde der Angeklagten die Einleitung des Steuerstrafverfahrens wegen Nichtabgabe der Umsatzsteuerjahres-, Einkommen- und Gewerbesteuererklärungen für die Besteuerungszeiträume 2011 bis 2015 bekannt gegeben.
Die Vorinstanz hatte die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.356.536,80 € im Zusammenhang mit der Steuerhinterziehung in 15 Fällen angeordnet. Von der Einziehung hatte es in zwei Versuchsfällen betreffend die Einkommen- und Gewerbesteuerhinterziehung für den Veranlagungszeitraum 2015 abgesehen. Gegen diese Einziehungsentscheidung richtete sich die Revision der Staatsanwalt.
Gründe:
Die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Einziehungsentscheidungen in den zwei Versuchsfällen beanstandete, bleibt ohne Erfolg.
Dass es im vorliegenden Fall nur zu einer Versuchsstrafbarkeit betreffend die Einkommen- und Gewerbesteuerhinterziehung kam, folgt daraus, dass die Strafbewehrung der Erklärungspflichten infolge der Bekanntgabe der Einleitung des Steuerstrafverfahrens suspendiert war, vgl. dazu BGH-Beschl. 1 StR 127/21 v. 1.6.2021, Rz. 8 m.w.N.
Voraussetzung für die Einziehung von Taterträgen ist nach §§ 73 Abs. 1, 73c Satz 1 Alt. 1 StGB das Vorliegen eines abzuschöpfenden Vermögensvorteils. Der Tatbeteiligte muss über die durch die Steuerverkürzung ersparten Aufwendungen tatsächlich verfügen können, so dass die Vermögensvorteile sich messbar in seinem Vermögen niederschlagen müssen.
Der BGH stellt anhand dieser Maßstäbe fest, dass das bloße Nichtbegleichen einer offenen Steuerschuld noch keinen messbaren und abschöpfbaren Vermögensvorteil darstellt. Durch die bloße Entstehung der Steuerschuld nach § 38 AO habe der steuerpflichtige Täter noch nicht „etwas erlangt“ i.S.d. § 73 Abs. 1 StGB, da der Täter die Steuern vor Fälligkeit nicht bezahlen muss (a.A. OLG Celle-Urt. 2 Ss 52/19 v. 14.6.2019 Rz. 16 – 19). Die realisierbare Steuerersparnis, über die der Steuerpflichtige frei verfügen könne, setzt die Festsetzung der Steuer durch Steuerbescheid (§ 155 Abs. 1 Satz 1, 2 AO) und dessen Bekanntgabe (§ 220 Abs. 2 Satz 2, § 122 Abs. 1 AO) voraus.
Die ersparten Steueraufwendungen können daher nur ab dem Zeitpunkt der Tatvollendung eingezogen werden. Erst durch die zu niedrige oder verspätete Festsetzung (§ 370 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 AO) realisiert sich eine Ersparnis, die ursächlich – § 73 Abs. 1 Alt. 1 StGB: „durch die Tat“ – auf die tatbestandsmäßige Handlung zurückzuführen ist.
Diese Grundsätze gelten nach dem BGH sowohl für den Fall der unrichtigen oder unvollständigen Ertragsteuererklärung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO als auch für die – im Urteilsfall einschlägige – Unterlassenstrafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. In den Fällen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist dabei der Zeitpunkt für die Einziehung maßgeblich, zu welchem die An-geklagte infolge fristgemäßer Erklärung veranlagt worden und die Ertragsteueransprüche fällig geworden wären bzw. wann die Bekanntgabe eines zu niedrigen Schätzungsbescheids erfolgte.
Bedeutung für die Praxis:
In dem vorliegenden Fall hat der BGH erstmalig entschieden, dass eine Einziehung nach §§ 73, 73c StGB nicht bei einer versuchten Steuerhinterziehung möglich ist. Damit wendet er sich ausdrücklich gegen die Entscheidung des OLG Celle 2 Ss 52/19 v. 14.6.2019, das die Einziehung bei der versuchten Steuerhinterziehung abstellend auf die Entstehung des Steu-eranspruchs nach § 38 AO für zulässig befand.
Die höchstrichterliche Rechtsprechung erging zwar lediglich in Bezug auf Veranlagungssteuern (versuchte Einkommensteuer- und Gewerbesteuerhinterziehung). Der Gedanke der Möglichkeit der Vermögensabschöpfung erst ab Fälligkeit der Steuer ist aber gleichermaßen auf die Umsatzsteuer übertragbar.
Die Frage des Vorliegens einer Versuchs- oder Vollendungsstrafbarkeit entfaltet daher nicht nur Relevanz für den Schuldspruch, sondern eröffnet auch über den Einzelfall hinaus Verteidigungsmöglichkeiten für die seitens der Gerichte anzuordnende Einziehungsentscheidung nach den §§ 73, 73c StGB.
Hinweis:
Die Erwägungen des BGH sind jedoch nicht übertragbar auf die Hinterziehung von Umsatzsteuer durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. In diesen Fällen gibt es kein Versuchsstadium, da mit dem Verstreichenlassen der Abgabefrist der Taterfolg des § 370 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 AO eintritt, vgl. BGH 1 StR 344/08 v. 2.12.2008, Rz. 15.