[1] In einer für die Gestaltungspraxis bedeutsamen Entscheidung hat der BFH bei einer GmbH die zivilrechtlich wirksame gespaltene (also eine inkongruente) Gewinnverwendung steuerlich anerkannt: Ein zivilrechtlich wirksamer Gesellschafterbeschluss, nach dem die Gewinnanteile von Minderheitsgesellschaftern ausgeschüttet werden, der auf den Mehrheitsgesellschafter gemäß seiner Beteiligung entfallende Anteil am Gewinn hingegen nicht ausgeschüttet, sondern in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage eingestellt wird, ist grundsätzlich auch steuerlich anzuerkennen. Eine solche Einstellung in die gesellschafterbezogene Gewinnrücklage führt auch beim beherrschenden Gesellschafter nicht zum Zufluss von Kapitalerträgen iS von § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 iVm. § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG, BFH-Urt. VIII R 25/19 v. 28.9.2021.
Anm.: Die Satzungen von 23 zu einer Unternehmensgruppe gehörenden Gesellschaften mbH sahen vor, dass die Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit eine von der Ergebnisverteilung abweichende Gewinnausschüttung beschließen kann. Wurde der Gewinn eines Gesellschafters nicht ausgeschüttet, war dieser nach den jeweiligen Satzungen dem betroffenen Gesellschafter auf einem personengebundenen Rücklagenkonto gutzuschreiben. Der betroffene Gesellschafter musste dieser Regelung zustimmen. Auf dem personenbezogenen Rücklagenkonto befindliche Gewinne konnten zu einem späteren Zeitpunkt an diesen Gesellschafter ausgeschüttet werden, was mit einfacher Stimmenmehrheit beschließbar war. Aufgrund dieser Öffnungsklausel wurde im Jahr 2012 bei all diesen Gesellschaften vereinbart, dass der festgestellte und kongruent verteilte Gewinn an die Minderheitsgesellschafter ausgeschüttet wird, während der auf den Mehrheitsgesellschafter entfallende Teil einer personengebundenen Rücklage zugeführt wird, die in der Bilanz als Gewinnrücklage ausgewiesen worden ist. Der BFH hat entschieden, dass dem beherrschenden Gesellschafter die lediglich auf dem Rücklagenkonto gutgeschriebenen Beträge nicht zugeflossen sind und auch kein Gestaltungsmissbrauch vorliegt. Ausgangspunkt für die Beurteilung war, dass die so geregelte Ausschüttung zivilrechtlich wirksam war, weil die Satzungen der betroffenen Gesellschaften eine entsprechende Öffnungsklausel vorsahen und – gestützt auf diese – inkongruente Gewinnverwendungen vorgenommen worden sind. – Damit ist gleichzeitig klar, dass später beliebig bis zur Höhe der gesellschafterbezogenen Gewinnrücklage überproportionale Ausschüttungen an den Mehrheitsgesellschafter steuerlich anerkannt werden. [kk]
[2] In dem nach § 126a FGO ergangenen Beschl. XI R 12/21 (XI R 25/19) v. 15.9.2021 hat sich der BFH für das Streitjahr 2006 ausführlich mit der Frage befasst, ob ein Bäckereibetrieb, der in „Vorkassenzonen“ von Supermärkten und Lebensmittelmärkten Filialen unterhielt, den ermäßigten Umsatzsteuersatz für die Lieferung von Lebensmitteln nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG beanspruchen konnte. Wie das FA und das FG in der Vorinstanz hat der BFH entschieden, dass zum Verzehr an Ort und Stelle über den Ladentresen abgegebene Backwaren unter folgenden Voraussetzungen nicht dem ermäßigten Steuersatz unterliegen: Es werden innerhalb oder außerhalb der eigentlichen Filialräume Tische und Stühle bereitgehalten und die Backwaren zum Verzehr vor Ort auf Mehrweggeschirr sowie mit Mehrwegbesteck abgegeben, das nach dem Verzehr der Speisen zurückgenommen und gereinigt wird. Dem steht nicht entgegen, dass der Service keine Kellnerleistungen umfasste, keine Garderoben und Toiletten bereitgehalten wurden und auch keine spezielle Beheizung der Verzehrareale erfolgte, wie diese in Gasträumen üblich ist. Der BFH hat dazu klargestellt, dass Art. 6 Abs. 1 Sätze 1 und 3 MwStDVO auch in Besteuerungszeiträumen vor ihrem Inkrafttreten anwendbar ist, soweit sie Begriffe klärt, die sich bereits zuvor aus der MwStSystRL bzw. der Richtlinie 77/388/EWG ergeben haben. [kk]
[3] Sowohl der V. als auch der XI. Senat des BFH hatten den EuGH angerufen, weil zweifelhaft ist, ob das deutsche umsatzsteuerrechtliche Verständnis zur Umsatzbesteuerung von Organschaften dem Unionsrecht entspricht, s. kösdi 2020, 21679, Report Nr. 194, und kösdi 2020, 21809, Report Nr. 350. Ua. geht es um die brisante Frage, ob im Fall der Organschaft der Organträger die USt. schuldet (deutsches Verständnis) oder aber die Mehrwertsteuergruppe als eigenständiger Unternehmer. Aufhorchen lässt, dass die Generalanwältin in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache C-141/20 davon ausgeht, dass das deutsche Verständnis, dem zufolge der Organträger die USt. schuldet, nicht mit Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG zu vereinbaren ist.
Anm.: Sollte der EuGH den Schlussanträgen folgen, zeichnet sich ein Fiasko für die FinVerw. ab, weil die gegen die Organträger ergangenen Umsatzsteuerfestsetzungen ohne Rechtsgrundlage sind. Die Empfehlung, betroffene Steuerfestsetzungen verfahrensrechtlich offenzuhalten (Korn/Strahl, kösdi 2020, 21974, 21981), hat durch die Schlussanträge zusätzliches Gewicht erlangt. [kk]
[4] Eine in einem notariellen Ehevertrag vor der Eheschließung vereinbarte „Bedarfsabfindung“ ist keine freigebige Zuwendung iS von § 7 ErbStG. Ihre Zahlung im Zeitpunkt der Ehescheidung ist deshalb nicht schenkungsteuerpflichtig, BFH-Urt. II R 40/19 v. 1.9.2021.
Anm.: Die künftigen Eheleute hatten vor der Eheschließung notariell den gesetzlichen Versorgungsausgleich ausgeschlossen, den nachehelichen Unterhalt begrenzt und den Güterstand der Gütertrennung vereinbart. Der Klägerin (künftige Ehefrau) wurde ein indexierter Zahlungsanspruch „im Falle der Scheidung“ eingeräumt, dessen Höhe von der Dauer des Bestands der Ehe abhängen sollte. Nach sechs Jahren wurde die Ehe geschieden und die Bedarfsabfindung geleistet. – Entscheidend war für die Beurteilung, dass es sich um ein Vertragspaket handelte, das nicht in Einzelteile zerlegt werden kann. Der BFH macht in der Urteilsbegründung deutlich, dass die isolierte Vereinbarung einer Zahlung für den Wegfall des etwaigen künftigen Zugewinnausgleichs steuerbar ist. [kk]