[1] Der BFH hat mit Urt. IX R 15/20 v. 17.1.2023 entschieden, der SolZ sei in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht verfassungswidrig, und hat eine Vorlage an das BVerfG abgelehnt. Der Senat hat die Entscheidung ausführlich begründet und sich mit den hoch kontroversen Meinungen in Wissenschaft und Fachschrifttum eingehend auseinandergesetzt. Getragen wird die Entscheidung von dem Verständnis, die Verfassungsmäßigkeit einer Ergänzungsabgabe werde erst dann zweifelhaft, wenn die Änderung der Verhältnisse eindeutig und offensichtlich feststeht. Das sei nicht der Fall, denn – so der BFH – der wiedervereinigungsbedingte Finanzbedarf des Bundes bestehe auch in den Jahren 2020 und 2021 fort. Auch die Fortentwicklung des SolZ ab 2021 dergestalt, dass ihn nur noch etwa 10 % der Stpfl. zu zahlen haben, hält der BFH für gerechtfertigt und vertretbar, weil dem Gesetzgeber grundsätzlich freistehe, die Steuern – auch Ergänzungsabgaben – mit Lenkungszielen nach Maßgabe der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu erheben. – Es bleibt abzuwarten, ob Verfassungsbeschwerde erhoben wird; dies liegt nahe. – Abgesehen davon muss davon ausgegangen werden, dass der SolZ „angezählt“ ist und keinesfalls grenzenlos weiter erhoben werden kann. Dieser Gesichtspunkt dürfte in der konkreten Steuerpraxis indes
derzeit wenig Anhaltspunkte für Angriffe auf die Festsetzung des SolZ bieten. [kk]
[2] Gegenstand der Entscheidung des BFH V R 12/20 v. 17.11.2022 über eine Konkurrentenklage war, ob ein gemeinnütziger Verein, der als Selbsthilfeorganisation die Interessen von blinden oder wesentlich sehbehinderten Personen wahrnimmt, mit Warenverkäufen in einem Ladengeschäft und über das Internet einen Zweckbetrieb unterhält, so dass die Umsätze dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG unterliegen. Der BFH hat entschieden, dass der Verkauf von Waren als grundsätzlich typische Handelstätigkeit nicht nach § 68 Nr. 4 AO in den Zweckbetriebskatalog fällt. Der Senat hält es aber für denkbar, dass im Einzelfall Ladenumsätze einen Zweckbetrieb nach § 65 AO darstellen können, wenn sie Bestandteil und Ausfluss einer dem Zweck des Vereins entsprechenden Beratungs- und Unterstützungsleistung sind. Inwieweit dies der Fall ist, muss im zweiten Rechtsgang geklärt werden. Dabei muss das FG auch den Wettbewerbsaspekt nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 UStG prüfen. [kk]
[3] Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG 2006 hat bei der Verschmelzung einer Körperschaft auf eine andere bei der übertragenden Körperschaft der Gewinn oder Verlust in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen dem Buchwert der Anteile an der übertragenden Körperschaft und dem Wert, mit dem die übergegangenen Wirtschaftsgüter zu übernehmen sind, abzüglich der „Kosten für den Vermögensübergang“ außer Ansatz zu bleiben. Inwieweit Aufwendungen idS Kosten für den Vermögensübergang sind, ist nach dem Veranlassungsprinzip zu beurteilen. Der BFH hat (was bisher streitig war) mit Urt. I R 25/20 v. 23.11.2022 entschieden, dass die verschmelzungsbedingt wegen Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 GrEStG entstehende GrESt. den Kosten für den Vermögensübergang zuzuordnen ist, so dass ihr Betriebsausgabenabzug entfällt und der steuerbefreite Übernahmegewinn vermindert wird. [kk]
[4] Der BFH hat noch einmal bestätigt, dass – abweichend von § 15 Abs. 2 EStG – vor einer Betriebseröffnung anfallende Betriebsausgaben den Gewerbeertrag nicht mindern. Dabei ist klargestellt worden, dass dies auch für den Fall des Betriebsübergangs iS von § 2 Abs. 5 GewStG gilt. Verfassungsrechtliche und unionsrechtliche Bedenken hat der BFH nicht, Urt. X R 17/21 v. 30.8.2022.
Anm.: Der Kläger pachtete am 1.12.2017 einen Imbissbetrieb einschl. Inventar von der bisherigen Betreiberin, die auch Eigentümerin des betrieblich genutzten Grundstücks ist. Im Dezember 2017 renovierte der Kläger die gepachteten Räume. Während dieser Zeit blieb der Imbiss geschlossen und wurde erst im Januar 2018 wieder für Gäste in Betrieb genommen. – Der BFH hat sich ausführlich mit der Einführung und Bedeutung des § 2 Abs. 5 GewStG auseinandergesetzt. Die Vorschrift besagt, dass der Betrieb durch den bisherigen Unternehmer als eingestellt gilt, wenn er im Ganzen auf einen anderen Unternehmer übergeht, bei dem der Betrieb als neu gegründet gilt. Der BFH hat als nicht entscheidungserheblich offengelassen, ob die Betriebsverpachtung im Ganzen unter diese Vorschrift fällt. [kk]
[5] Eine nach § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG steuerbare Rückzahlung einer Kapitalforderung liegt auch dann vor, wenn eine GmbH eine Verbindlichkeit gegenüber einem Gesellschafter dadurch erfüllt, dass sie mit einer ihr zustehenden Gegenforderung aufrechnet. Deshalb hat der BFH mit Urt. VIII R 27/19 v. 30.11.2022 bei folgendem Sachverhalt einen steuerpflichtigen, nach der Gesetzeslage vor Änderung durch das JStG 2020 nicht unter die Abgeltungsbesteuerung nach § 32b EStG fallenden Veräußerungsgewinn angenommen: Im Jahr 2009 erwarb der Kläger die restlichen Anteile an einer GmbH; zugleich trat der Anteilsverkäufer eine ihm gegen die GmbH zustehende Forderung aus einem Gesellschafterdarlehen iHv. 79.684,76 € für einen Kaufpreis von 1 € ab. Im Jahr 2013 erlosch die Darlehensforderung des Klägers durch Aufrechnung der GmbH mit einer ihr gegenüber dem Kläger in gleicher Höhe zustehenden Forderung. Der BFH hat dazu klargestellt, dass der Ausschluss des Abgeltungsteuertarifs gem. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG in der bis zum JStG 2020 geltenden Fassung nicht davon abhängig war, dass die Erfüllung der Verbindlichkeit der GmbH bei dieser einen gewinnwirksamen Aufwand auslöst (keine Rückwirkung). [kk]
[6] In einem das Streitjahr 2006 betreffenden Fall hatten das FA und das FG bei einer Privatklinik die Anwendung der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG aF abgelehnt, weil die Erfüllung der Voraussetzungen des § 67 Abs. 2 AO erst nachträglich ermittelt wurde und keine entsprechende Vorauskalkulation vorlag. Der BFH hat mit Urt. V R 23/20 v. 17.11.2022 unter Zurückverweisung der Sache entschieden, eine Vorauskalkulation sei nicht erforderlich.
Anm.: Der BFH hält die durch das JStG 2007 mit Rückwirkung zum 1.1.2003 geänderte Fassung des § 67 AO für das Jahr 2006 für verfassungsrechtlich unbedenklich. [kk]
[7] Das BMF hat mit Schr. III C 2 – S 7358/19/10001: 007 v. 2.2.2023 eine temporäre Billigkeitsregelung für einen unberechtigten Steuerausweis nach § 14c UStG in Fällen getroffen, in denen juristische Personen des öffentlichen Rechts nach der Gesetzesänderung im JStG 2022 ab 2023 weiter § 2 Abs. 3 UStG anwenden: Hat die juristische Person des öffentlichen Rechts für eine nach dem 31.12.2022 außerhalb des unternehmerischen Bereichs des § 2 Abs. 3 UStG in der ab 31.12.2015 geltenden Fassung tatsächlich erbrachte Leistungen eine Rechnung mit gesondertem Ausweis der USt. erteilt, schuldet sie diesen Steuerbetrag nach § 14c Abs. 2 UStG. Einem zum Vorsteuerabzug berechtigten Leistungsempfänger wird aus Gründen der Praktikabilität unter den übrigen Voraussetzungen des § 15 UStG aus einem derartigen unberechtigten Steuerausweis iS des § 14c Abs. 2 UStG ein Vorsteuerabzug max. in der Höhe gewährt, der für diese Leistung gesetzlich geschuldet worden wäre, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts § 2b UStG bereits anwenden würde. Außerdem kann auf die Festsetzung und Abführung der Steuer iS von § 14c Abs. 2 UStG verzichtet werden, wenn eindeutig für die die Rechnung ausstellende juristische Person des öffentlichen Rechts feststeht, dass die Rechnung nicht für Zwecke verwendet werden kann, die einen Vorsteuerabzug ermöglichen. Es besteht allerdings kein Recht der juristischen Person des öffentlichen Rechts auf einen Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit dem unberechtigten Steuerausweis. [kk]