[1] Am 16.12.2022 hat der Bundesrat zwei bedeutsamen umfangreichen steuerlichen „Omnibus“-Gesetzen zugestimmt, nämlich
- dem Jahressteuergesetz 2022 (über dessen Fortgang wir bereits berichtet hatten) und
- dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/514 des Rates v. 22.3.2021 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Modernisierung des Steuerverfahrensrechts. [kk]
[2] Mit BMF-Schr. IV C 4 – S 2223/19/10003:006 v. 12.12.2022 sind die bisherigen gemeinnützigkeitsrechtlichen und umsatzsteuerrechtlichen Billigkeitsregelungen für Maßnahmen zur Förderung der Hilfe für von der Corona-Krise Betroffenen auf alle Aktivitäten verlängert worden, die bis zum 31.12.2023 durchgeführt werden (bisher sollten die Billigkeitsregelungen am 31.12.2022 auslaufen). Betroffen sind die in den Schr. v. 9.4.2020, BStBl. 2020 I, 498, und v. 26.5.2020, BStBl. 2020 I, 547, sowie v. 18.12.2020, BStBl. 2021 I, 57, angesprochenen Maßnahmen und deren bisherige Verlängerung durch Schr. v. 14.12.2021, BStBl. 2021 I, 2500, sowie v. 15.12.2021, BStBl. 2021 I, 2476 (vereinfachter Spendenabzug, Spendenaktionen von steuerbegünstigten Körperschaften, Maßnahmen durch steuerbegünstigte Körperschaften, Zuwendungen aus dem steuerlichen Betriebsvermögen, Arbeitslohnspenden, Aufsichtsratsvergütungen, Hilfeleistungen durch steuerbegünstigte Körperschaften, Mittelverwendung durch steuerbegünstigte Körperschaften, SchenkSt., Aufstockung von Kurzarbeitergeld durch steuerbegünstigte Körperschaften, Fortsetzung von Ehrenamts- und Übungsleiterpauschalen an erkrankte Helfer durch steuerbegünstigte Körperschaften). Verlängert wurde ebenso die Regelung im BMF-Schr. v. 15.6.2021, BStBl. 2021 I, 855 (Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG bei Einrichtungen des öffentlichen Rechts und steuerbegünstigten Körperschaften). [kk]
[3] In seiner Grundsatzentscheidung VI R 20/20 v. 28.9.2022 hat der BFH durch punktuell satzungsdurchbrechenden Gesellschafterbeschluss vorgenommene inkongruente Vorabgewinnausschüttungen steuerlich anerkannt.
Anm.: Die Entscheidung vermittelt – wenn die FinVerw. sie anwendet – Rechtssicherheit in einer umstrittenen Frage und weicht dabei von der im BMF-Schr. v. 17.12.2013, BStBl. 2014 I, 63, vertretenen Rechtsauffassung ab. Im Streitfall war der Kläger zu 50 % an einer GmbH beteiligt, deren übrige Anteile einer anderen GmbH gehörten, an der der Kläger zu 100 % beteiligt war. Aus dem Gewinn der Beteiligungsgesellschaft wurden mehrfach durch Beschluss der Gesellschafterversammlung Vorabausschüttungen vorgenommen, die in vollem Umfang der neben dem Kläger zu 50 % beteiligten GmbH zustanden. Der Kläger selbst, der zu 50 % beteiligt war, erhielt keine Ausschüttungen. Die Satzung der ausschüttenden GmbH enthielt keine Regelung für etwaige inkongruente Gewinnausschüttungen oder Vorabgewinnausschüttungen und auch keine diesbezügliche Öffnungsklausel. Der BFH hat herausgearbeitet, dass für den jeweiligen Einzelfall beschlossene satzungsdurchbrechende inkongruente Gewinnausschüttungen (und auch Vorabausschüttungen) zivilrechtlich wirksam sind, wenn sie (nach Zustimmung aller Gesellschafter) nicht angefochten werden können und sie nicht zu einer Dauerregelung führen. Eine schädliche Dauerregelung entsteht aber nicht bereits dadurch, dass mehrfach aufgrund von Einzelbeschlüssen satzungsdurchbrechende inkongruente Ausschüttungen beschlossen werden. Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO erblickte der BFH in den inkongruenten Vorabausschüttungen schon deshalb nicht, weil die Gestaltung für ihn letztlich nicht zu ungerechtfertigten Steuervorteilen führt, denn Empfänger der überhöhten Ausschüttungen war eine GmbH; über die ihr zugeflossenen Ausschüttungen konnte der Kläger künftig nur durch für ihn steuerpflichtige Ausschüttungen der von der inkongruenten Ausschüttungen profitierenden Beteiligungs-GmbH verfügen. [kk]
[4] Die Aufteilung des einheitlichen Kaufpreises auf den Grund und Boden und das Gebäude für Zwecke der AfA-Berechnung hat erhebliche Bedeutung für die Besteuerungspraxis und führt häufig zum Steuerrechtsstreit. Im Urt. IX R 12/21 v. 20.9.2022 hatte sich der BFH mit der Kaufpreisaufteilung für eine Eigentumswohnung in einem bevorzugten Feriengebiet zu befassen, die der Einkünfteermittlung durch Vermietung diente. Grundsätzlich ist klar, dass in diesen Fällen der Wert des Gebäudeanteils und des anteiligen Grund und Bodens getrennt zu ermitteln ist und der Kaufpreis im Verhältnis der ermittelten Werte aufzuteilen ist. Im Streitfall hat das FA bei der Wertermittlung das Sachwertverfahren angewandt; das FG ist dem gefolgt. Das FA hat dabei das sog. „vereinfachte Verfahren“ unter Verwendung der Arbeitshilfe des BMF angewandt. Dies führte zu einer wirklichkeitsfremden und deshalb unvertretbaren Überbewertung des Grund und Bodens. Der BFH hat klargestellt, dass für die Schätzung des Wertes des Grund und Bodens sowie des Gebäudeanteils die ImmoWertV herangezogen werden kann. Nach deren Bestimmungen ist der Verkehrswert mit Hilfe des Vergleichswertverfahrens (einschließlich des Verfahrens zur Bodenwertermittlung), des Ertragswertverfahrens, des Sachwertverfahrens oder mehreren dieser Verfahren zu ermitteln. Welches der danach denkbaren Wertermittlungsverfahren anzuwenden ist, muss nach den tatsächlichen Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalles entschieden werden. Die Wahl der Ermittlungsmethode entzieht sich danach einer Verallgemeinerung. Einen Vorrang bestimmter Wertermittlungsverfahren (etwa des Sachwertverfahrens) für bestimmte Gebäudearten sieht der BFH nicht.
Anm.: Die Bedeutung des Urt. besteht in der Klarstellung, dass ein Vorrang des Sachwertverfahrens für bestimmte Gebäudearten nicht besteht. Der BFH geht davon aus, dass bei zur Vermietung bestimmten Immobilien das Ertragswertverfahren idR zu plausibleren Ergebnissen führt, weil sich bei derartigen Immobilieninvestitionen der Kaufpreis weitgehend an den erzielbaren Mieterträgen orientiert. Für den Streitfall hat der BFH die Anwendung des Sachwertverfahrens abgelehnt und die Sache an das FG zurückverwiesen, das eine Bewertung nach Ertragswertgesichtspunkten vornehmen muss und dabei im vorangegangenen FG-Verfahren bereits vorliegende Sachverständigengutachten verwerten kann. [kk]
[5] Zuwendungen eines steuerlich gemeinnützigen Rechtsträgers aus seinem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb an eine gemeinnützige Tochter-GmbH können Betriebsausgaben (zB Sponsoringausgaben),
verdeckte Einlagen oder nach § 9 KStG abzugsfähige Spenden sein. Ob – wenn der Betriebsausgabenabzug ausscheidet – es sich bei einer Zuwendung um eine verdeckte Einlage oder um eine Spende handelt, ist anhand einer Veranlassungsprüfung in Form eines Fremdvergleichs festzustellen. Davon ausgehend, hat der BFH mit Urt. I R 52/20 v. 13.7.2022 Zuwendungen eines gemeinnützigen Vereins aus seinem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb an eine Tochter-GmbH zur Verwendung in deren gemeinnützigen Bereich als Spenden anerkannt und sich dabei auf die Feststellungen des FG in tatsächlicher Hinsicht gestützt.
Anm.: Von erheblicher Bedeutung für die Beurteilung war, dass die Zuwendungen für den gemeinnützigen Bereich der Tochter-GmbH bestimmt waren und damit dem Gebot der zeitnahen Verwendung für gemeinnützige Zwecke unterlagen. Eine für die verdeckte Einlage typische Verstärkung des Betriebskapitals (und die Möglichkeit einer späteren Rückführung) entstand daher nicht, auch wenn bei der Tochtergesellschaft wirtschaftlich schwierige Verhältnisse vorlagen. Beim erforderlichen Fremdvergleich des Spendenverhaltens hat der BFH gering gewichtet, dass der Kläger nur an die Tochter-GmbH und nicht an fremde Rechtsträger spendete. Zwar habe der Senat in seiner Rspr. zur Abgrenzung zwischen anzuerkennenden Spenden und vGA in Fällen von Gewährleistungsträgerspenden diesen Gesichtspunkt als Indiz für vGA herangezogen, jedoch stand dem Aspekt im Streitfall entgegen, dass der Kläger mit den Zuwendungen zugleich seinen eigenen steuerbegünstigten Zwecken nachgekommen ist (die steuerbegünstigte Tätigkeit der Tochtergesellschaft stimmte mit diesen überein). [kk]
[6] Die FinVerw. hat aus der Rspr. des EuGH und BFH zur erweiterten Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG für die Abgabe von Medikamenten im Rahmen ambulanter Heilbehandlungen Konsequenzen gezogen und mit dem BMF-Schr. III C 3 – S 7170/20/10001:001 v. 13.12.2022 Abschn. 4.14.1 Abs. 4 UStAE (Anwendungsbereich und Umfang der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchst. a und b UStG) ergänzt sowie Abschn. 4.14.6 Abs. 2 Nr. 3 UStAE (eng mit Krankenhausbehandlungen und ärztlichen Heilbehandlungen verbundene Umsätze) geändert. Es geht darum, dass die Abgabe von für erfolgreiche (ambulante) Heilbehandlungen unerlässlichen Medikamenten steuerfrei ist, auch wenn die Medikamente nicht individuell für die Patienten hergestellt werden. Die Verwaltungsanweisungen beschreiben die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Steuerbefreiungsvorschrift. Die neuen Verwaltungsanweisungen sind in allen offenen Fällen anzuwenden, jedoch mit folgender Übergangsregelung: Für Umsätze, die vor dem 1.1.2023 ausgeführt werden, wird es nicht beanstandet, wenn der Unternehmer seine Leistungen abweichend von Abschn. 4.14.6 Abs. 2 Nr. 3 UStAE als umsatzsteuerpflichtig behandelt. Soweit es sich hierbei um die Abgabe von Arzneimitteln innerhalb des Zweckbetriebs eines Krankenhauses nach § 67 AO handelt, ist in allen offenen Fällen auf diese Lieferungen der ermäßigte Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG anzuwenden. Aus den damit zusammenhängenden Eingangsleistungen kann grundsätzlich der Vorsteuerabzug geltend gemacht werden. Die Ausführungen zum Vorsteuerabzug, zur Steuerentstehung nach § 14c Abs. 1 UStG und zur Rechnungsberichtigung unter Tz. III des BMF-Schr. v. 28.9.2016, BStBl. 2016 I, 1043, gelten zwar entsprechend. Aus Billigkeitsgründen kann aber eine – zur Korrektur des Vorgangs weiterhin erforderliche – Berichtigung des Steuerbetrags nach § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG eines Krankenhauses gegenüber dem Versicherten einer privaten Krankenkasse ein besonderes, unter Ziff. III des BMF-Schr. v. 13.12.2022 beschriebenes Verfahren angewandt werden. [kk]
[7] Nach § 182 Abs. 2 Nr. 3 BewG sind Ein- und Zweifamilienhäuser für erbschaftsteuerliche Zwecke grundsätzlich im Vergleichswertverfahren zu bewerten; nur wenn kein Vergleichswert oder keine Vergleichsfaktoren vorliegen, ist das Sachwertverfahren anzuwenden. Soweit Grundstückskaufpreise herangezogen werden, ist vorrangig deren Feststellung durch den Gutachterausschuss maßgebend. Fehlt es einer Wertermittlung durch den Gutachterausschuss, können die zeitnah für vergleichbare Grundstücke tatsächlich erzielten Kaufpreise herangezogen werden. Dabei kann auch der Kaufpreis für das geschenkte Grundstück selbst maßgeblich sein, BFH-Urt. II R 14/20 v. 24.8.2022.
Anm.: Im Streitfall ging es um die Bewertung eines im Wege der sog. mittelbaren Schenkung zugewendeten Grundstücks. Der Schenker hatte den Kaufpreis in Höhe von 920.000 € für ein durch den Beschenkten zu erwerbendes Einfamilienhaus zur Verfügung gestellt. Der BFH entschied, dieser Betrag entspreche dem im Vergleichswertverfahren anzusetzenden gemeinen Wert, weil auf Ermittlungen des Gutachterausschusses nicht zurückgegriffen werden konnte. Der Kläger wollte das Sachwertverfahren zugrunde gelegt wissen, das zu einem deutlich geringeren Wert führte. – Die Entscheidung zeigt, dass durch mittelbare Schenkung eines vom Beschenkten zu erwerbendes Grundstück keine Bewertungsvorteile erzielbar sind, wenn es sich um ein Ein- oder Zweifamilienhaus handelt und Wertermittlungen durch den Gutachterausschuss nicht verfügbar sind. [kk]