[1] Am 2.12.2022 hat der Bundestag das Jahressteuergesetz 2022 in der vom Finanzausschuss vorgeschlagenen Fassung (BT-Drucks. 20/4729 v. 30.11.2022) verabschiedet, dem der Bundesrat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zustimmen wird. Die eingearbeitete Beschlussempfehlung des Finanzausschusses hat noch zahlreiche Änderungen bzw. Erweiterungen des Gesetzentwurfs der Bundesregierung bewirkt, insbesondere diese:
- Die 4.500 €-Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 11b EStG wird für Leistungen nach § 150c SGB XI idF des Gesetzes zur Stärkung des Schutzes der Bevölkerung und insbesondere vulnerable Personengruppen vor COVID-19 v. 16.9.2022 auf Auszahlungen bis zum 31.5.2023 gewährt.
- Der Anwendungsbereich der Ertragsteuerbefreiung für bestimmte Photovoltaikanlagen nach § 3 Nr. 72 EStG-Entw. wird auf den 1.1.2022 zurückbezogen. Außerdem wird die Steuerbefreiung für Anlagen mit einer Leistung bis zu 15 kw (peak) auf, an oder in gemischt genutzten Gebäuden nicht mehr davon abhängig gemacht, dass diese überwiegend Wohnzwecken dienen.
- Neuregelung für häusliche Arbeitszimmer und Homeoffice ab 1.1.2023: Bildet ein häusliches Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen oder beruflichen Betätigung, kann anstelle der nachgewiesenen Aufwendungen optional eine Jahrespauschale (ggf. monatsbezogen) von 1.260 € geltend gemacht werden; dies in „Mittelpunktfällen“ auch dann, wenn für die betriebliche oder berufliche Betätigung ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG-Entw.). Soweit es sich nicht um „Mittelpunktfälle“ handelt, ist zu unterscheiden, ob dauerhaft kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Steht ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung, sind 6 € Tagespauschale (höchstens 1.260 € jährlich) für jeden Arbeitstag absetzbar (typischer Homeoffice-Fall), an dem die betriebliche oder berufliche Tätigkeit überwiegend in der häuslichen Wohnung ausgeübt und keine außerhalb der häuslichen Wohnung belegene erste Tätigkeitsstätte aufgesucht wird. Steht dauerhaft kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung, ist ein Abzug der Tagespauschale auch dann zulässig, wenn die Tätigkeit am selben Kalendertag auswärts oder an der ersten Tätigkeitsstätte ausgeübt wird (ausgeschlossen ist der Abzug der Tagespauschale, soweit für die Wohnung Unterkunftskosten im Rahmen von §§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b, 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG abgezogen werden oder soweit ein Abzug nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG erfolgt).
- Für nach dem 31.12.2022 endende Wj. kann die Bildung eines Rechnungsabgrenzungspostens unterbleiben, wenn die jeweilige Ausgabe oder Einnahme die GWG-Grenze nach § 6 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht übersteigt.
- Durch § 19 Abs. 3 EStG-Entw. wird die Besteuerung der Energiepreispauschale nach dem Versorgungsrechtlichen Energiepauschalen-Gewährleistungsgesetz als Einnahme nach § 19 Abs. 2 EStG sichergestellt. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. c EStG-Entw. regelt die Besteuerung der Energiepreispauschale nach dem Rentenbeziehende-Energiepreispauschalengesetz.
- Die Registerfallbesteuerung nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Sätze 1 und 2 EStG soll ua. dann entfallen, wenn ihr ein DBA entgegensteht.
- §§ 123, 124, 125 und 126 EStG regeln die Besteuerung der einmaligen Entlastung nach dem Erdgas-Wärme-Soforthilfegesetz als sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 3 Satz 1 EStG, soweit sie nicht unter eine andere Einkunftsart fällt.
- Die vorgesehene Erhöhung der Gebäude-AfA nach § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG-Entw. auf 3 % soll bereits für Anschaffungen oder Herstellungen ab 1.1.2023 gelten. Der im Regierungsentwurf gem. § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG-Entw. vorgesehene Ausschluss des Nachweises einer kürzeren Nutzungsdauer für Gebäude entfällt.
- Die bisherige Sonderabschreibung für die Herstellung neuer Mietwohnungen nach § 7b EStG galt nur, wenn der Bauantrag vor dem 1.1.2022 gestellt wurde. Die Vorschrift wird mit veränderter Effizienzvorgabe verlängert, jedoch nur, wenn der Bauantrag oder die Bauanzeige in den Jahren 2023 bis 2026 gestellt wird.
- Der Arbeitnehmer-Pauschbetrag wird ab 2023 von 1.200 € auf 1.230 € (!) erhöht.
- Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende nach § 24b Abs. 2 EStG wird um 252 € erhöht.
- Das angesparte geförderte Altersvorsorgevermögen soll künftig auch für Aufwendungen für energetische Maßnahmen iS des § 35c Abs. 1 Satz 3 EStG bei einer selbst genutzten Wohnung in Anspruch genommen werden können.
- Zur ertragsteuerlichen Organschaft: § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 KStG-Entw. legt fest, dass dann keine mittelbare Organschaft vorliegt, wenn sich die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft bereits aus der unmittelbaren Beteiligung des Organträgers an der Organgesellschaft ergibt. Die Vorschrift des § 14 Abs. 4 KStG, der die Ausgleichspostenregelung für Minder- und Mehrabführungen durch die Einlagelösung ersetzt hat, wird – weitgehend iS der bereits verlautbarten Verwaltungsauffassung – nachgebessert und ergänzt. Nachgebessert wird auch die Übergangsregelung zum neuen Konzept und die Möglichkeit der Bildung einer steuerfreien Rücklage nach § 34 Abs. 6e KStG.
- Für die Einlagenrückgewähr durch Körperschaften und Personenvereinigungen, die nicht der unbeschränkten Steuerpflicht im Inland unterliegen, soll nach § 27 Abs. 8 KStG auf Antrag ab dem VZ 2023 eine gesonderte Feststellung erfolgen, die dann jedoch Voraussetzung für die Steuerfreistellung ist.
- Eine Änderung von § 7b Abs. 2 GewStG soll unsachgerechte Ergebnisse bei der gewerbesteuerlichen Verrechnung nach § 3a EStG steuerfreien Sanierungserträgenverhindern.
- Einmal mehr werden zahlreiche spezielle Änderungen des InvStG vorgenommen.
- In § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG-Entw. wird durch veränderte Definition des Unternehmerbegriffs iS der bisherigen Verwaltungsauffassung sichergestellt, dass Bruchteilsgemeinschaften Unternehmer sein können.
- Juristische Personen des öffentlichen Rechts können nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 UStG-Entw. die Ist-Besteuerung wählen, soweit sie nicht freiwillig Bücher führen und auf Grund jährlicher Bestandsaufnahmen regelmäßig Abschlüsse machen oder dazu gesetzlich verpflichtet sind.
- Die am 31.12.2022 auslaufende Übergangsfrist für die Anwendung des § 2b UStG durch jPöR verlängert sich nochmals um zwei Jahre.
- Eine Zweifachbesteuerung mit GrESt. soll vermieden werden, indem § 16 Abs. 4a GrEStG-Entw. unter bestimmten Voraussetzungen auf Antrag eine Aufhebung oder Änderung der auf Grund eines Rechtsgeschäfts nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 GrEStG festgesetzten GrESt. ermöglicht.
- Als Art. 40 führt das JStG 2022 eine neue Steuer namens „Energiekrisenbeitrag“ durch das Gesetz zur Einführung eines EU-Energiekrisenbeitrags nach der Verordnung (EU) 2022/1854 für das erste nach dem 31.12.2021 beginnende volle Wj. (Besteuerungszeitraum 1) sowie das darauffolgende Wj. (Besteuerungszeitraum 2) ein. Steuerschuldner sind im Inland betriebene gewerbliche Unternehmen jedweder Rechtsform, die – wirtschaftsjahrbezogen – mindestens 75 % ihres Umsatzes durch die in der Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 genannten Wirtschaftstätigkeiten in den Bereichen Extraktion, Bergbau, Erdölraffination oder Herstellung von Kokereierzeugnissen erzielen. Bemessungsgrundlage ist der Betrag in Höhe der positiven Differenz, um den der nach einkommen- oder körperschaftsteuerlichen Vorschriften ermittelte steuerliche Gewinn für den Besteuerungszeitraum (1 oder 2) den um 20 % erhöhten Durchschnitt des steuerlichen Gewinns in den nach dem 31.12.2017 beginnenden und vor dem Beginn des Besteuerungszeitraums 1 endenden Wj. übersteigt. Die Steuer beträgt 33 % der Bemessungsgrundlage. Der EU-Energiekrisenbeitrag ist eine sonstige Personensteuer iS des § 10 Nr. 2 KStG bzw. des § 12 Nr. 3 EStG. [kk]
[2] Die mit Spannung erwarteten Entscheidungen des EuGH zur umsatzsteuerlichen Organschaft liegen vor. Der Gerichtshof hat mit den Urt. C-141/20 („Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie mbH“) und C-269/20 („S“) v. 1.12.2022 entschieden:
- Die deutsche gesetzliche Regelung in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, der zufolge der Organträger Unternehmer und Umsatzsteuerschuldner für den gesamten Organkreis ist, entspricht dem Unionsrecht (in den Vorlagefällen war noch Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG einschlägig, dem aktuell Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL entspricht).
- Für die erforderliche finanzielle Eingliederung der selbständigen Rechtsträger reicht eine Mehrheitsbeteiligung des Organträgers aus; er muss nicht zusätzlich über eine Stimmenmehrheit verfügen.
- Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es einem Mitgliedstaat nicht gestattet, Einheiten im Wege der Typisierung als nicht selbständig anzusehen, wenn sie finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in den Organträger einer Mehrwertsteuergruppe, eingegliedert sind. Die Tragweite der diesbezüglichen Erwägungen des EuGH wird noch zu klären sein. Dazu gehört die umsatzsteuerrechtliche Einordnung der Innenleistungen bei Organschaften.
- Erbringt eine Organgesellschaft Leistungen für den hoheitlichen Bereich des Organträgers in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, liegt keine steuerbare unentgeltliche Wertabgabe an den hoheitlichen Bereich einer Organschaft vor.
Im Vorlagefall C-141/20 wendet sich eine GmbH, an der zu 51 % eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und zu 49 % ein eingetragener Verein beteiligt sind (der GmbH-Geschäftsführer war zugleich Geschäftsführer bzw. Vorstand aller Rechtsträger), gegen die Heranziehung zur Umsatzsteuer, weil sie Organ der unternehmerisch tätigen Körperschaft des öffentlichen Rechts sei. Das FA folgte dem nicht, obwohl die Körperschaft zu 51 % beteiligt war, weil sie nach einer Sonderregelung im Gesellschaftsvertrag der GmbH nicht über die Mehrheit der Stimmen verfügte. Mit der zu erwartenden Anschlussentscheidung dürfte der BFH der Klage stattgeben. Im Vorlagefall C-269/20 war umsatzsteuerlicher Organträger eine Stiftung öffentlichen Rechts. Sie war Trägerin eines Bereichs der Universitätsmedizin, die neben umsatzsteuerbaren entgeltlichen Dienstleistungen nicht steuerbare hoheitliche Aufgaben wahrnahm. Sie war Organträgerin einer GmbH, die gegen Entgelt Dienstleistungen (zB Reinigungsleistungen) an die Organträgerin erbrachte, die zum Teil auf den nichtwirtschaftlichen (hoheitlichen) Bereich entfielen. Das FA wollte die Leistungen der Organ-GmbH als steuerbare unentgeltliche Wertabgabe des Organkreises iS des § 3 Abs. 9a UStG besteuern, weil die Entgeltlichkeit der Leistungen dadurch verdrängt werde, dass es sich um nicht umsatzsteuerbare Innenumsätze handele. Nach der Entscheidung des EuGH dürfte der BFH dem nicht folgen; abzuwarten bleibt, ob sich etwaige anderweitige umsatzsteuerliche Konsequenzen ergeben.
Hinweis: Für den deutschen Fiskus ist es von immenser Bedeutung, dass der EuGH den Organträger als Unternehmer und Steuerschuldner für den gesamten Organkreis anerkennt. Hätte der EuGH sich die teilweise vertretene Rechtsauffassung zu eigen gemacht, Unternehmer sei die zum Organkreis verbundene Mehrwertsteuergruppe, hätte dies – in den verfahrensrechtlichen Grenzen – ua. nicht weniger bedeutet als die Aufhebung sämtlicher Steuerfestsetzungen bei allen Organträgern, soweit es sich nicht um ihre eigenen Umsätze handelt. Insoweit bleibt also alles beim alten. Bevor diesbezüglich vorsorglich eingelegte Rechtsbehelfe und gestellte Änderungsanträge zurückgenommen werden, sollte indes aus Gründen äußerster Vorsicht die Anschluss-Rspr. des BFH abgewartet werden. Diese wird jedenfalls umsatzsteuerlich von Bedeutung sein, soweit der EuGH die deutsche Organschaftsregelung bzw. ihre Auslegung beanstandet hat. Das gilt insbesondere für Fälle, in denen eine wünschenswerte Organschaft nicht anerkannt worden ist, weil es trotz Mehrheitsbeteiligung des Organträgers an der bisher geforderten Stimmenmehrheit fehlt. Dies wird ua. Bedeutung haben, wenn geltend gemacht wird, eine Personengesellschaft sei Organ. Die bisherige restriktive Rspr. insbesondere des V. Senats des BFH und Verwaltungsauffassung werden nicht zu halten sein. Der EuGH hat hervorgehoben, dass zu den für die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe erforderlichen Voraussetzungen nicht das Vorliegen eines Unterordnungsverhältnisses gehört.
Eines zeigen die Entscheidungen des EuGH deutlich: Der Gesetzgeber muss die Organschaftsregelung in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG dringend überarbeiten. [kk]
[3] Werden bei einer Mitunternehmerschaft, die den Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt, Ausgaben nicht als Betriebsausgaben anerkannt, die nur einem der Mitunternehmer zugutekommen, ist der steuerliche Mehrgewinn nur diesem zuzurechnen, solange er keine Rückzahlung an die Mitunternehmerschaft bzw. die anderen Mitunternehmer leistet, BFH-Urt. VIII R 6/19 v. 28.9.2022.
Anm.: Anders ist dies im Falle der Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich, weil in diesem Fall der etwaige Rückzahlungsanspruch gegen den Mitunternehmer in der Gesamthandsbilanz aktiviert werden muss. – Im Urteilsfall hatte ein zu 50 % beteiligter Gesellschafter einer Ingenieur-GbR ohne Zustimmung seines Mitgesellschafters verschiedene Ausgaben (insgesamt 14.488,02 €), die zunächst als Betriebsausgaben der Gesellschaft geltend gemacht wurden, in seinem persönlichen Interesse aus dem Gesellschaftsvermögen getätigt. Deren Hinzurechnung zum deklarierten Gewinn hat das FA zu Unrecht bei den Gesellschaftern nach dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel (50:50) zugerechnet. Dazu der BFH: „Kein Steuerpflichtiger hat ein Einkommen zu versteuern, das tatsächlich einem anderen zugeflossen ist …“. Wer wollte dem widersprechen. [kk]
[4] Für Unterrichtsleistungen, die sich auf Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung beziehen, kann nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL Umsatzsteuerbefreiung beansprucht werden. Die Anforderungen, die der EuGH an die Steuerfreiheit des Schul- und Hochschulunterrichts stellt, gelten dafür nicht. Deshalb hat der BFH mit Beschl. XI R 32/21 (XI R 6/19) v. 22.6.2022 die Steuerbefreiung für die Leistungen einer Supervisorin anerkannt, die im Auftrage von Arbeitgebern deren Arbeitnehmer (Sozialarbeiter, Sozialpädadogen und in der Pflege tätige Personen) im beruflichen Alltag erforderliche Kompetenzen vermittelt. [kk]