Unionsrechtliche Verzinsung von erstatteten Einfuhrabgaben nach Rechtsanwendungsfehlern der Zollbehörde – FG Hessen Urt. 7 K 998/20 v. 31.5.202
Das Hessische FG hat mit Urteil vom 31.5.2023 entschieden, dass eine unzutreffende Auslegung des Zollkodexes durch die nationale Zollbehörde zu einer Verzinsung der daraus entstandenen Erstattungsansprüche führt. Gegen das Urteil des Hessischen FG ist bereits eine Revision beim Bundesfinanzhof unter dem Az. VII B 96/23 anhängig.
Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine Firma, die Unterhaltungselektronik importiert und vertreibt. Für bestimmte Geräte setzte die beklagte Zollbehörde nach entsprechender Begutachtung Einfuhrabgaben fest. Diese mussten nach jahrelangen Streitigkeiten über die zutreffende rechtliche Beurteilung der Waren im Ergebnis zu Gunsten der Klägerin erstattet werden. Die Klägerin verlangte daraufhin von der Zollbehörde die Verzinsung der erstatteten Beträge. Außerdem machte sie einen Anspruch auf Verzugszinsen („Zinseszinsen“) geltend. Beides (Verzinsung und Anspruch auf Verzugszinsen) lehnte die beklagte Zollbehörde ab.
Entscheidungsgründe:
Das FG Hessen erachtete die Klage hinsichtlich der Verzinsung der Erstattungsbeträge als begründet und sprach der Klägerin Zinsen – deren Höhe sich nach § 238 AO bemisst – für den Zeitraum der Entrichtung aufgrund erstmaliger rechtswidriger Festsetzung der Einfuhrzölle bis zu deren Erstattung durch den Beklagten zu.
Dafür greift das FG auf die Rechtsprechung des EuGH zurück, der bereits entschieden hat, dass Zinsansprüche auch für die fehlerhafte Anwendung des Unionsrechts geltend gemacht werden können, in dessen Folge Einfuhrabgaben gegen den Verwaltungsunterworfenen festgesetzt wurden. Der Verstoß gegen das Unionsrecht ergibt sich in dem Besprechungsfall aus der fehlerhaften Tarifierung durch die Zollbehörde im Zusammenhang mit den streitgegenständlichen Einfuhren. Dabei stellt das FG fest, dass es nicht notwendig war, die Unionsrechtswidrigkeit dieser Tarifierung vorher gerichtlich feststellen zu lassen. Ausreichend ist die inzidente Prüfungsmöglichkeit in dem gerichtlichen Verfahren, in dem die Verzinsung geltend gemacht wird. Zudem darf es keinen Unterschied machen, ob den Einfuhren eine (rechtswidrige) verbindliche Zolltarifsauskunft (vZTA) zugrunde liegt oder die Einfuhren ohne eine solche erfolgt.
Nach der Feststellung des FG, dass ein unionsrechtlicher Verzinsungsanspruch dem Grunde nach besteht, erläutert das FG das Verhältnis des Verzinsungsanspruchs zu den zollrechtlichen Ausschlusstatbeständen für eine Verzinsung auf Erstattungsbeträge in Art. 241 ZK bzw. Art. 116 Abs. 6 UZK. Diese greifen nur, wenn sich die Erstattung auf die ungeprüfte Annahme der Zollanmeldung zurückführen lässt, nicht aber, wenn die Behörde in eine eingehende Prüfung des Sachverhalts eintritt.
Den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Verzugszinsen lehnte das Hessische FG hingegen ab. Dieser lasse sich weder auf nationales Recht (§§ 233 ff. AO) noch auf den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz stützen.
Einordnung:
Der unionsrechtliche Zinsanspruch findet sich nicht ausdrücklich normiert im Gesetz, sondern ergibt sich aus der Rechtsprechung des EuGH. Dieser hatte mit dem Urteil in der Rs. „Gräfendorfer Geflügel und Tiefkühlfeinkost“ (C-415/20 u.a. v. 28.4.2022) entschieden, dass nicht nur die fehlerhafte Umsetzung, sondern auch die fehlerhafte Rechtsanwendung von Unionsrecht einen Anspruch auf Verzinsung des Erstattungsbetrages begründet.
Dass es bei Rechtsanwendungsfehlern im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren bei der Anwendung von Unionsrecht, die zu einer Erstattung führen, zu einem unionsrechtlichen Verzinsungsanspruch kommen kann, hat weitreichende Auswirkungen für die Praxis. Für Rechtsanwendungsfehler in Bezug auf das nationale Recht kommt eine Verzinsung von Erstattungen nicht in Betracht. Durch die zunehmende Europäisierung des Steuerrechts ist der unionsrechtliche Zinsanspruch jedoch in einer Vielzahl von Fallgestaltungen denkbar, beispielsweise für die Umsatzsteuer oder die Kapitalertragsteuer bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, vgl. Helbich, EFG 2023, 1434, 1439. Die Möglichkeit der Verzinsung ist in passenden Sachverhalten daher vom Berater stets gedanklich mit zu prüfen.
Für zollrechtliche Sachverhalte ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, dass Art. 241 ZK bzw. Art. 116 UZK, die den Ausschluss des Zinsanspruchs für das zollrechtliche Erstattungsverfahren normieren, einer Verzinsung im Streitfall nicht entgegenstehen. Der Ausschluss des Zinsanspruchs nach diesen Vorschriften beruht darauf, dass die Zollanmeldungen zwecks Erhaltung der Schnelligkeit des Warenverkehrs zunächst ungeprüft angenommen werden und erst später in eine ausführliche Prüfung eingestiegen werden kann. Mithin ist eine Prüfung in jedem Einzelfall vonnöten, ob ein Sachverhalt von der Behörde nur „durchgewunken“ wird oder eine ausführliche Befassung mit dem Sachverhalt erfolgt. Diese „Testfrage“ lässt sich als allgemeiner Grundsatz auch auf umsatzsteuerliche Fälle übertragen.