Erläuterndes BMF-Schreiben zur Versagung des Vorsteuerabzugs und der Steuerbefreiung bei Beteiligung an einer Steuerhinterziehung nach § 25f Abs. 1 UStG
Das BMF hat mit seinem Schreiben vom 15.6.2022 u.a. die Voraussetzungen des § 25f Abs. 1 UStG erläutert und entsprechende Anwendungsregeln in den Abschn. 25f.1 UStAE aufgenommen, vgl. BMF-Schr. III C 5 ¬ S 7429-b/21/10003 :001 v. 15.6.2022, BStBl. 2022 I, 1001.
Hintergrund:
Gemäß § 25f Abs. 1 UStG ist eine Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung nach § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG oder der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 und 4 UStG zu versagen, wenn der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich an einer Steuerhinterziehung beteiligt. Der § 25f UStG wurde zum 1.1.2020 eingeführt und geht zurück auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, vgl. u.a. EuGH-Urt. C-439/04 und C-440/04 v. 6.7.2006, DStR 2006, 1274.
Inhalt des BMF-Schreibens:
Die Voraussetzung für die Anwendung der Regelung des § 25f UStG ist, dass der objektive und subjektive Tatbestand des § 370 AO bzw. der §§ 26a oder § 26c UStG auf mindestens einer Umsatzstufe innerhalb der Leistungskette erfüllt sind. Diesen Nachweis hat die Finanzverwaltung zu führen. Dafür ist aber weder eine strafgerichtliche Verurteilung oder bußgeldrechtliche Ahndung erforderlich, noch ist die Finanzverwaltung an Entscheidungen im straf- oder bußgeldrechtlichen Verfahren gebunden, vgl. Abschn. 25f.1 Abs. 3 UStAE.
Der § 25f Abs. 1 UStG erfordert darüber hinaus ein Wissen oder Wissen müssen des Unternehmers von der Erfüllung einer der o.g. Tatbestände in der Leistungskette, um den Vorsteuerabzug oder die Steuerbefreiung zu versagen. Die Beweislast hierfür trägt ebenfalls die Finanzverwaltung, vgl. Abschn. 25f.1. Abs. 6 UStAE. Dabei ist dem Unternehmer auch das Wissen oder Wissen müssen seiner Angestellten zuzurechnen, welches die Angestellten im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit erlangt haben oder hätten erlangen müssen, vgl. Abschn. 25f.1 Abs. 2 UStAE.
Trifft ein Unternehmer jedoch alle Maßnahmen, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass die Umsätze in der Leistungskette nicht in eine Umsatzsteuerhinterziehung oder nicht in eine Schädigung des Umsatzsteueraufkommens einbezogen sind, kann dieser grundsätzlich auf die zutreffende steuerrechtliche Behandlung seiner Umsätze vertrauen, ohne Gefahr zu laufen, sein Recht auf Vorsteuerabzug zu verlieren, vgl. Abschn. 25f.1 Abs. 4 UStAE.
Diese Anforderungen an den Unternehmer konkretisiert das BMF näher und verlangt, dass bei erkennbaren Anhaltspunkten für Unregelmäßigkeiten bei der Aufnahme neuer oder bei bestehenden Geschäftsbeziehungen, der Unternehmer weitergehende geeignete Maßnahmen (z.B. das Einholen von Auskünften) ergreifen und diese auch geeignet dokumentieren muss, vgl. Abschn. 25f.1 Abs. 4 UStAE. Das BMF führt in Abschn. 25f.1 Abs. 5 UStAE Beispiele auf, bei denen vom Unternehmer verlangt werden kann, weitere Maßnahmen zu ergreifen.
Ergreift der Unternehmer keine weitergehenden geeigneten Maßnahmen oder kann vorhandene Zweifel durch die ergriffenen Maßnahmen nicht ausräumen und geht die Geschäftsbeziehung dennoch ein oder führt diese fort, geht das BMF von einem Wissen oder Wissen müssen des Unternehmers aus, vgl. Abschn. 25f.1. Abs. 4 UStAE.
Beratungshinweis:
Die Versagung des Vorsteuerabzugs bei Feststellung einer Steuerhinterziehung kommt nicht nur für den unmittelbaren die Tathandlung einer Steuerhinterziehung betreffenden Eingangs- oder Ausgangsumsatz des Unternehmers in Betracht, sondern ist bei allen vor- und nachgelagerten Umsatzstufen innerhalb der Leistungskette möglich.
In der Praxis wird in strittigen Fällen insbesondere von Relevanz sein, ob der Unternehmer von der Steuerhinterziehung wusste oder davon hätte wissen müssen. Nach Auffassung des BMF kommt es dafür maßgeblich darauf an, ob bestimmte Anhaltspunkte auf Unregelmäßigkeiten hindeuten und der Unternehmer weitere Aufklärungsmaßnahmen ergriffen oder diese unterlassen hat.
Das BMF-Schreiben zeigt, dass der Unternehmer seine Geschäftsbeziehungen fortlaufend auf Unregelmäßigkeiten überprüfen sollte und ihn mithin entsprechende Aufklärungspflichten treffen können. Die vom BMF beispielsweise in Abschn. 25f.1. Abs. 5 UStAE aufgeführten Anhaltspunkte, wie etwa ein unter dem Marktpreis liegendes Preisangebot oder branchenunübliche Barzahlungen, sollten dabei stets beachtet werden. Insbesondere bei neuen Geschäftsbeziehungen sollten standardmäßig Unterlagen der Geschäftspartner, wie z.B. Handelsregister- oder Gesellschaftsregisterauszüge, Gewerbeanmeldungen oder Bestätigungen der Steuerbehörden zu einer steuerlichen Registrierung, angefordert werden. Eine umfassende Dokumentation der Vertragsbeziehungen ist zu empfehlen, vgl. Scheller/Brill/Hildebrandt, UR 2021, 256, 261.
Welche Anforderungen an den Unternehmer bezogen auf seine Aufklärungspflichten zu stellen sind, hängt maßgeblich von dem jeweiligen Einzelfall ab. Die Steuerverwaltung darf vom Steuerpflichtigen jedoch weder die Durchführung komplexer und umfassender Überprüfungen seines Lieferanten verlangen, noch ihm faktisch die ihr obliegende Kontrolle übertragen, vgl. EuGH-Beschl. C-610/19 v. 3.9.2020 Rs. Vikingo, MwStR 2021, 323.