Erlöschen von Zollschuld und Einfuhrumsatzsteuer bei Reparaturen in Deutschland
Das FG Baden-Württemberg hat mit Urteil 11 K 2900/21 vom 25.1.2022 entschieden, dass die mangels Gestellung und Zollanmeldung von Waren entstandene Zollschuld ebenso wie die Einfuhrumsatzsteuer erlischt, wenn den Zollbehörden nachgewiesen wird, dass die Waren nicht verwendet oder verbraucht, sondern aus dem Zollgebiet der Union verbracht worden sind und wenn kein Täuschungsversuch vorliegt. Dabei hat es die Revision zum BFH wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts zugelassen, vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 FGO.
Sachverhalt:
Der Kläger, der seinen Wohnsitz in der Schweiz hat, wendet sich gegen die Festsetzung von Einfuhrabgaben für ein Segelboot. Der Kläger verbrachte das auf ihn zugelassene Segelboot auf einem Bootsanhänger mit seinem PKW aus der Schweiz nach Deutschland, ohne hierfür an der Grenze eine Zollabfertigung durchzuführen. An dem Außenbordmotor wurden in Deutschland fällige Service- und Wartungsarbeiten durchgeführt. Das Boot wurde später wieder in die Schweiz verbracht. Es wurde nach dem insoweit unbestrittenen Vortrag des Klägers im Zollgebiet nicht anderweitig genutzt.
Bei der Fahrt nach Deutschland stoppte eine Zollstreife den Kläger. Die Beamten leiteten wegen der fehlenden Zollabfertigung ein Steuerstrafverfahren ein und setzten Einfuhrabgaben fest. Der gegen den Einfuhrabgabenbescheid gerichtete Einspruch blieb erfolglos. Vor dem FG beantragt der Kläger die Aufhebung des Einfuhrabgabenbescheids.
Gründe:
Das FG hat der Klage stattgegeben und den Einfuhrabgabenbescheid aufgehoben.
Zunächst stellt das FG fest, dass für das Boot nach Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK eine Zollschuld entstanden ist, da der Kläger die Ware bei Überführung in das Zollgebiet der Union überführt hat, ohne gem. Art. 139 Abs. 1 UZK eine Gestellungsmitteilung abzugeben. Außerdem wurde keine Zollanmeldung nach Art. 158 Abs. 1 UZK abgegeben.
Die Gestellung und Zollanmeldung waren nicht entbehrlich. Dies wäre nur der Fall gewesen, wenn in Bezug auf die eingeführte Ware die Voraussetzungen des Verfahrens der vorübergehenden Verwendung i.S. des Art. 250 UZK erfüllt gewesen wären; dies war hingegen aufgrund der vorzunehmenden Reparatur nicht der Fall. Das Boot hätte das Verfahren der aktiven Veredelung überführt werden müssen, was nicht geschehen ist. Eine Überführung in das Verfahren bloß durch konkludentes Verhalten ist nicht möglich; es hätte eines (bewilligten) Antrags bedurft.
Zudem scheidet die Befreiung von Einfuhrabgaben für im Straßen-, Schienen – oder Luftverkehr und in der See- und Binnenschifffahrt eingesetzte Beförderungsmittel aus, da das Segelboot ausschließlich zur Reparatur nach Deutschland verbracht wurde.
Ob neben der Zollschuld darüber hinaus Einfuhrumsatzsteuer entstanden ist, ist aus Sicht des FG zweifelhaft. Gemäß § 21 Abs. 2 Hs. 1 UStG sind die Vorschriften für Zölle auf die Einfuhrumsatzsteuer sinngemäß anzuwenden. Einschränkend gilt aber, dass eine Einfuhr i.S. des Art. 2 Abs. 1 Buchst. d und Art. 30 MwStSystRL vorliegt. Eine Einfuhr setze nicht nur das körperliche Verbringen in das Gebiet voraus, sondern auch, dass der in das Gebiet der Union verbrachte Gegenstand in den Wirtschaftskreislauf der Union eingeht und einem mit Mehrwertsteuer belasteten Vorgang zugeführt werden kann. Davon sei nur auszugehen, wenn die eingeführte Ware selbst Gegenstand einer Lieferung ist oder mit ihr eine steuerbare (Dienst-)Leistung erbracht wird.
Über das Entstehen der Einfuhrumsatzsteuer musste das FG jedoch nicht abschließend entscheiden, da eine etwaig entstandene Einfuhrumsatzsteuer – wie auch die Zollschuld – jedenfalls nach Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK erloschen ist. Nach dieser Vorschrift erlischt eine nach Art. 79 UZK entstandene Zollschuld, wenn den Zollbehörden nachgewiesen wird, dass die Waren nicht verwendet oder verbraucht, sondern aus dem Zollgebiet der Union verbracht worden sind, und wenn kein Täuschungsversuch gem. Art. 124 Abs. 6 UZK vorliegt.
Unter Berücksichtigung des Wirtschaftszollgedankens ist das Segelboot nicht verwendet oder verbraucht worden. Das Segelboot ist vom Kläger nicht als Beförderungsmittel genutzt worden und der Kläger ist auch nicht in Konkurrenz zu unionsansässigen Vermietern oder Verkäufern von Booten getreten. Auch ein Täuschungsversuch ist dem Kläger nicht vorzuwerfen.
Folglich ist die Einfuhrzollschuld sowie die EUSt. erloschen, so dass der Bescheid aufzuheben war.
Einordnung:
Die Entscheidung betrifft die allgemeine Frage, wie im Hinblick auf das Zollrecht und die Einfuhrumsatzsteuer mit vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Union verbrachten Waren umzugehen ist.
Bei pflichtwidrigen Verstößen gegen das im UZK vorgesehene Verfahren zur Überführung von Waren in die Union kommt es zur Entstehung der Zollschuld nach Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK. Einen Ausweg aus der Zollschuldentstehung bietet jedoch Art. 124 UZK, der die Heilung von Verfahrensverstößen bzw. das Erlöschen von Zollschulden regelt. Der Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass Zuwiderhandlungen gegen das Zollrecht nicht durch die Zollschuldentstehung, sondern durch eigene zollrechtliche Sanktionen geahndet werden sollen, vgl. Witte, in: Witte, UZK, 8. Aufl. 2022, Art. 125 Rz. 1. Das Vorliegen eines Erlöschensgrundes sollte daher nicht zu der Annahme verleiten, dass die Verfahren des UZK nicht mehr zu beachten sind. Die Entstehung der Zollschuld und der Einfuhrabgaben hätte im Streitfall von vornherein durch eine Überführung in das Verfahren der aktiven Veredelung gem. Art. 256 UZK vermieden werden können.
Für die Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer ist zusätzlich zu dem körperlichen Verbringen des Gegenstands erforderlich, dass der Gegenstand in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangt. Dies konnte das FG vorliegend dahinstehen lassen, indem es darauf abstellt, dass die Einfuhrumsatzsteuer ebenfalls nach Art. 124 UZK erloschen ist. Der EuGH hat jedoch kürzlich festgestellt, dass das Erlöschen der Zollschuld nach Art. 124 UZK nicht zwingend zum Erlöschen der Mehrwertsteuerschuld führt, vgl. EuGH-Urt. C-489/20 Rs. Kauno teritorinė muitinė v. 7.4.2022; kritisch Sterzinger, UStdirekt digital Nr. 17 v. 8.9.2022, S. 10. Da die Entscheidung vor dem vorgenannten EuGH-Urteil erging, bleibt die dogmatische Einordnung des BFH in dem anhängigen Revisionsverfahren abzuwarten. Es fragt sich schon, ob der Art. 124 Abs. 1 Buchst. k UZK für die Einfuhrumsatzsteuer überhaupt einen Anwendungsbereich hat. Denn Waren, die im Zollgebiet der Union weder verwendet noch verbraucht, sondern wieder ausgeführt werden, sind in der Regel schon nicht in den Wirtschaftskreislauf der EU gelangt, vgl. Hamster, in: BeckOK UStG, § 21 Rz. 82.3 (Stand: Juni 2022).