Gemeinnütziges wissenschaftliches Editieren – BFH-Urt. V R 37/20 v. 12.5.2022
In einer aktuellen Entscheidung vom 12.5.2022 musste sich der BFH im Wesentlichen mit der Frage befassen, ob eine gemeinnützige Körperschaft durch das entgeltliche wissenschaftliche Editieren im sog. Peer-Review-Verfahren und der damit verbundenen Open-Access-Publikation ihren steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zweck der Förderung von Wissenschaft und Forschung selbstlos, ausschließlich und unmittelbar verfolgen kann.
Sachverhalt
Eine gemeinnützige GmbH (nachfolgend „Klägerin“) wurde von einer amerikanischen Limited Liability Company (nachfolgend „B“) damit beauftragt, die fachliche Prüfung und Freigabe der von Autoren eingereichten Beiträge im sog. Peer-Review-Verfahren (sog. wissenschaftliches Editieren) zu übernehmen. Das Peer-Review-Verfahren wurde in drei Schritten durchgeführt. In einem ersten Schritt liest der Editor die Arbeit und prüft, ob wissenschaftliche Mindestanforderungen erfüllt sind und ob die Arbeit anderen Ansprüchen der Zeitschrift genügt. Fällt die Entscheidung positiv aus, wird der Beitrag in einem zweiten Schritt zur fachspezifischen Prüfung an externe Gutachter weitergeleitet. In einem dritten Schritt entscheidet der Editor, auf Grundlage der Gutachten, über das weitere Vorgehen. Die Klägerin beschäftigte für diese Tätigkeit eine wissenschaftliche Editorin in Vollzeit sowie eine Assistentin. Für die Durchführung des Peer-Review-Verfahrens erhielt die Klägerin eine angemessene Vergütung. Bei Überschreiten einer bestimmten Anzahl von zu begutachtenden Beiträgen wurde eine Zusatzvergütung vereinbart.
Im Rahmen einer verbindlichen Auskunft kam es zum Streit darüber, ob die Klägerin nach ihrer tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar die gemeinnützigen Zwecke der Förderung von Wissenschaft und Forschung verfolgt. Die Klägerin trug vor, dass der Zweck durch die Veröffentlichung wissenschaftlicher Beiträge im Online-Journal der B verwirklicht werde. Hingegen vertrat das Finanzamt (nachfolgen „FA“) die Auffassung, die Editorentätigkeit sei ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb und kein steuerbegünstigter Zweckbetrieb. Das FA erließ dementsprechend Bescheide für 2017 (u.a. für KSt und GewSt), in denen es eine Steuerbefreiung versagte. Die Klägerin wandte sich mit einer Sprungklage erfolglos an das Finanzgericht Baden-Württemberg (nachfolgend „FG“).
Gründe
Die gegen die Entscheidung des FG Baden-Württemberg 10 K 1033/19 v. 14.10.2019 eingelegte Revision sah der BFH als begründet an. Das Urteil wurde aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen.
Entgegen der Auffassung des FG ist die Klägerin selbstlos i.S. von § 55 AO tätig gewesen. Der BFH sieht, anders als die Vorinstanz, in einer bloßen Gewinnchance keinen Verstoß gegen die Selbstlosigkeit. Die Gewinnchance führe nicht dazu, dass die Klägerin mit Gewinnerzielungsabsicht handle und somit überwiegend eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt. Maßgeblich sei, dass die gemeinnützige Körperschaft ihr Vermögen zweckgerichtet für die ideellen Zwecke einsetzt und die Einnahmen aus der nicht begünstigten Tätigkeit für die begünstigte Tätigkeit verwendet. Dies sei vorliegend der Fall gewesen.
Auch das Gebot der Ausschließlichkeit sah der BFH als erfüllt an. Die Editierungstätigkeit sei darauf gerichtet gewesen, im Interesse der Allgemeinheit die Wissenschaft zu fördern, da es die Editierung der wissenschaftlichen Fachbeiträge ermöglicht habe, diese in einem von B betriebenen Online-Journal als Open-Access-Publikation für die Allgemeinheit kostenlos zugänglich zu machen. Damit habe die Klägerin Wissenschaftlern eine Veröffentlichungsmöglichkeit verschafft, um den wissenschaftlichen Austausch zu intensivieren.
Ferner habe das FG zu Unrecht die Unmittelbarkeit i.S. von § 57 AO verneint. Das FG sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die Klägerin ausschließlich Leistungen gegenüber B erbracht habe. Durch die weisungsunabhängige Editorentätigkeit habe ein unmittelbar-faktisches Verhältnis zu den Autoren aus der Wissenschaft bestanden. Das wissenschaftliche Editieren der Klägerin fördere die Wissenschaft daher unmittelbar.
Abschließend befand der BFH die Ausführungen des FG auch insoweit als unzutreffend, als es einen unvermeidbaren Wettbewerb i.S. von § 65 AO bejahte, ohne die hierfür erforderliche Interessenabwägung als sog. zweite Stufe der Wettbewerbsprüfung vorzunehmen.
Das FG hat nun erneut die §§ 55 bis 57 AO zu prüfen und bei Bejahung, ob die Klägerin mit ihrer Tätigkeit zu gleichen oder ähnlichen nicht begünstigten Betrieben in größerem Wettbewerb tritt, als es bei Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecken unvermeidbar ist.
Einordnung für das Gemeinnützigkeitsrecht
Die Entscheidung des BFH zeigt, wie komplex die Befolgung der gemeinnützigkeitsrechtlichen Vorschriften sein kann. Zudem führt der Umstand, dass Finanzämter und Gerichte häufig zu unterschiedlichen Auffassungen gelangen, ob die gemeinnützigkeitsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, zu erheblicher Rechtsunsicherheit bei den Körperschaften.
Zur Risikominimierung empfiehlt es sich, ein Tax-Compliance-Management-System einzuführen. Ein funktionierendes Tax-Compliance-Management-System dient dazu, steuerliche Risiken zu erkennen bzw. steuerliche Fehler, die einen Wegfall der Gemeinnützigkeit zur Folge haben können, zu verhindern.
Mit Spannung bleibt jedenfalls abzuwarten, wie das FG die Entscheidung des BFH umsetzen wird. Dies gilt besonders für die Ausführungen zu § 65 Nr. 3 AO, also der Wettbewerbsfrage bei allgemeinen Zweckbetrieben, da hierzu konkrete Ausführungen bis dato unterblieben sind.