BFH zum rückwirkenden Wegfall der Erbschaftsteuerbefreiung für ein Familienheim
Der BFH hat sich in einer jüngst veröffentlichten Entscheidung mit dem rückwirkenden Wegfall der gewährten Steuerbefreiung für ein Familienheim gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 5 ErbStG befasst und die Frage beantwortet, wann der Erwerber aus „zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert“ ist, vgl. BFH-Urt. II R 18/20 v. 1.12.2021, DStR 2022, 1372.
Sachverhalt:
Die Klägerin ist Alleinerbin ihres im März 2009 verstorbenen Vaters. Zum Nachlass des Vaters gehörte u.a. ein Grundstück mit einem Einfamilienhaus. Die Klägerin hatte das ererbte Haus selbst bewohnt, war aber bereits nach sieben Jahren ausgezogen. Die für das Familienheim vom Finanzamt zunächst gewährte Steuerbefreiung wurde der Klägerin wegen Verstoßes gegen die zehnjährige Nachbehaltensfrist des § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 5 ErbStG rückwirkend versagt.
Im Einspruchs- und Klageverfahren machte die Klägerin geltend, sie sei aus zwingenden Gründen an der Selbstnutzung des Hauses gehindert gewesen. Sie habe sich angesichts ihres Gesundheitszustands (Bandscheibenvorfälle und ein Hüftleiden, das wegen einer Angststörung nicht operabel sei) kaum mehr allein in dem Haus bewegen können.
Einspruch und Klage gegen den geänderten Erbschaftsteuerbescheid blieben ohne Erfolg.
Gründe:
Der BFH hat entschieden, dass die Revision der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil begründet und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO zurückzuverweisen ist.
Nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 5 ErbStG fällt die Steuerbefreiung mit Wirkung für die Vergangenheit weg, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken nutzt, es sei denn, er ist aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert (sog. Nachversteuerungstatbestand).
Der BFH entscheidet die bislang umstrittene Rechtsfrage dahingehend, dass sich der zwingende Hinderungsgrund i.S. von § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 5 EStG auf die Selbstnutzung des betreffenden Familienheims beziehen muss, also objektbezogen zu verstehen ist. Ob der Erwerber an einem anderen Ort einen Haushalt führen kann, ist nicht entscheidend. Der BFH wendet sich damit ausdrücklich gegen die vom FG Münster in zwei Verfahren vertretene Auffassung. Das FG meinte, dass sich die Unmöglichkeit, selbstständig einen Haushalt zu führen, auf das Führen eines eigenen Haushalts schlechthin beziehe, d.h. auch an einem anderen Ort als in dem erworbenen Familienheim, vgl. Urt. FG Münster 3 K 1321/11 Erb v. 31.1.2013, EFG 2013, 715, rkr. u. 3 K 420/20 Erb v. 10.12.2020, EFG 2021, 385, nrkr., Az. des BFH II R 1/21.
Im Weiteren konkretisiert der BFH das Merkmal der „zwingenden Gründe“. Ein zwingender Grund liegt nicht vor, wenn sich der Erwerber nur aufgrund persönlicher oder wirtschaftlicher Zweckmäßigkeitserwägungen an der Selbstnutzung gehindert fühlt. Hingegen sieht der BFH einen zwingenden Grund als gegeben an, wenn die Selbstnutzung dem Erwerber unter den konkreten Umständen objektiv unmöglich oder unzumutbar wird. Ein abgeschlossener Katalog von Gründen besteht nicht.
Der BFH weist für die erneute Verhandlung und Entscheidung des FG schon vorsorglich darauf hin, dass ein zwingender Grund auch vorliegen kann, wenn der Erwerber zwar weiterhin unter Zuhilfenahme externer Hilfe- und Pflegeleistungen in dem erworbenen Familienheim leben könnte, diese externen Leistungen jedoch ein solches Ausmaß annehmen, dass nicht mehr von einer selbstständigen Haushaltsführung des Erwerbers in dem betreffenden Familienheim gesprochen werden kann.
Beratungshinweis:
Der BFH hat in seiner Entscheidung erstmalig zu dem Merkmal „aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert“ Stellung genommen. Zu begrüßen ist, dass er die restriktive Auffassung des FG Münsters ablehnt und nur auf die Selbstnutzung des betroffenen Familienheims abstellt.
Die Ausführungen des BFH zum Vorliegen von zwingenden Hinderungsgründen zeigen zudem, dass es stets auf die konkrete Betrachtung im Einzelfall und die Würdigung durch die Finanzgerichte ankommt. Da die Feststellungslast im Streitfall beim Steuerpflichtigen liegt, ist es unerlässlich, durch eine frühzeitige Beweisvorsorge alle Umstände zusammenzutragen, die für eine unzumutbare Hinderung an der Selbstnutzung des Familienheims sprechen. Bestenfalls kann das Finanzamt dann schon im Rahmen der Veranlagung oder im Einspruchsverfahren vom Vorliegen zwingender Gründe überzeugt werden.
Zu beachten ist schließlich, dass für einen Erwerb des Familienheims zu Lebzeiten durch Schenkung an den Ehegatten gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG keine Nachbehaltensfrist gilt; für Schenkungen des Familienheims an Kinder existiert keine sachliche Steuerbefreiung. Es können nur die Freibeträge des § 16 ErbStG genutzt werden. Es empfiehlt sich daher genau zu prüfen, ob die Übertragung des selbstgenutzten Familienheims schon zu Lebzeiten vorteilhaft ist. Wenn das Familienheim im Alleineigentum eines Ehegatten steht, kann es ggf. steuerlich günstiger sein, das Familienheim zunächst hälftig im Wege der Schenkung auf den anderen Ehegatten zu übertragen, um die nutzbaren Freibeträge für die nachfolgende Schenkung an die Kinder zu verdoppeln.
Hinweis:
Der BFH hat die Argumentation zu den zwingenden Hinderungsgründen mit Urteil vom gleichen Tag auch auf die gleichlautende Nachbehaltensfrist für ein vom Ehegatten erworbenes Familienheim gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG übertragen, vgl. BFH-Urt. II R 1/21 v. 1.12.2021, DStR 2022, 1607. Geklärt hat er zudem, dass grundsätzlich auch eine psychische Erkrankung einen zwingenden Grund i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG darstellen kann.