Unanwendbarkeit der steuerlichen Liegenschaftszinssätze in Berlin | Finanzgerichtsbarkeit Berlin-Brandenburg
Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat sich in drei Urteilen vom 24. April 2024 (Az.: 3 K 3188/21, 3 K 3055/22 und 3 K 3022/22) mit den Liegenschaftszinssätzen (LZS) befasst, die bei der Bewertung von Grundstücken im typisierten Ertragswertverfahren für die Zwecke der Erbschaft- und Schenkung- sowie Grunderwerbsteuer anzuwenden sind. Das Gericht hat entschieden, dass nicht die vom Gutachterausschuss (GAA) für Grundstückswerte in Berlin veröffentlichten steuerlichen LZS, sondern die für den Steuerpflichtigen regelmäßig günstigeren allgemeinen LZS des GAA anzuwenden sind.
Sachverhalt:
Streitig war in den Verfahren vor dem Finanzgericht Berlin-Brandenburg die Feststellung von Grundbesitzwerten für Zwecke der Erbschaftsteuer. Die Ermittlung erfolgte nach den Vorgaben des BewG im sog. Ertragswertverfahren.
Dem Ertragswertverfahren liegt die Überlegung zu Grunde, den Grundbesitzwert ausgehend von den durch die Nutzung des Grundstücks erzielbaren Erträgen zu bestimmen. Die Ermittlung erfolgt vereinfacht dargestellt wie folgt: Boden- und Gebäudewert werden getrennt voneinander ermittelt, § 184 Abs. 1 BewG und anschließend aufaddiert. Da der Bodenwert separat angesetzt wird, ist aus den erzielbaren Erträgen, die bei der Ermittlung des Gebäudewerts angesetzt werden, eine Bodenwertverzinsung herauszurechnen. Hierzu werden die sog. LZS, die im Verfahren streitig waren, angewandt. Je höher der LZS und damit die Bodenwertverzinsung angesetzt wird, umso geringer wird der Gebäudeertrags- und damit auch der Grundbesitzwert.
Anzuwenden sind grundsätzlich die von den GAA im Sinne der §§ 192 ff. BauGB ermittelten LZS, vgl. § 177 BewG. Soweit derartige LZS nicht zur Verfügung stehen, sieht das BewG allgemeine, nur nach der Grundstücksart differenzierende LZS zur Anwendung vor.
Insbesondere die gesetzlichen LZS in § 188 Abs. 2 BewG in der Fassung des Gesetzes vom 24.12.2008 sowie vom 16.7.2021 liegen oftmals über den durch die GAA ermittelten Zinssätzen, sodass sich die Anwendung der gesetzlichen LZS oftmals als steuermindernd im Rahmen der Bewertung auswirkte. Das BewG wurde durch das JStG 2022 weitgehend geändert. Nunmehr sind auch die gesetzlichen LZS an aktuelle Verhältnisse angepasst worden, die Anwendung ist jedoch weiterhin oftmals streitanfällig.
Im Streitfall vor dem Finanzgericht Berlin-Brandenburg lag der Sachverhalt nun wie folgt: Der GAA veröffentlichte seinem aus dem BauGB herrührenden gesetzlichen Auftrag nach jährlich „allgemeine Liegenschaftszinssätze“. Diese Zinssätze dienen primär außersteuerlichen Zwecken. Zusätzlich liegen ihnen die im BauGB verankerten typisierten Nutzungsdauern, die von denjenigen des BewG abweichen. Auf Veranlassung der Berliner Finanzverwaltung hatte der GAA daher zusätzlich LZS ermittelt, denen das Restnutzungsdauermodell nach Anlage 22 BewG des zu Grunde liegt.
Entscheidungsgründe:
Nach den Entscheidungen des FG Berlin-Brandenburg sind die allgemeinen LZS der GAA, nicht die speziell und unter Berücksichtigung der Gesamtnutzungsdauer des BewG ermittelten LZS anzuwenden.
Hierbei fordert das FG die von der Rechtsprechung bisher bereits allgemein geforderten Voraussetzungen: Der GAA muss bei der Ermittlung des LSZ die Vorgaben des BauGB sowie der darauf beruhenden Verordnungen einhalten und die LZS für einen Zeitraum berechnen, der den Bewertungsstichtag umfasst.
Damit verweist das FG auf den Wortlaut des BewG, das Bezug nimmt auf die Ermittlung der LZS durch den GAA nach den Vorgaben des BauGB und der auf § 199 Abs. 1 BauGB beruhenden, an ihn gerichteten Rechtsverordnungen. Daraus ergibt sich weiter, dass die LZS für die Bewertung für Zwecke der Erbschaftsteuer geeignet i. S. des § 188 Abs. 2 Satz 2 BewG sind, selbst wenn der GAA bei deren Ermittlung die Restnutzungsdauer des Gebäudes nach der ImmoWertV 2010 und nicht nach dem BewG bestimmt hat. Die bewertungsrechtliche Restnutzungsdauer wird in § 185 Abs. 3 Satz 3 BewG definiert. Sie wird grundsätzlich aus dem Unterschiedsbetrag zwischen der wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer, die sich aus Anlage 22 zum BewG ergibt, und dem Alter des Gebäudes am Bewertungsstichtag ermittelt. Dabei handelt es sich um den Ansatz einer typisierten wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer für die steuerrechtliche Bewertung. Für die Ermittlung der LZS durch den GAA gelten hingegen am streitigen Stichtag die Vorgaben der ImmoWertV 2010.
Praxishinweis:
Im Urteilsfall wirkte sich die Anwendung der allgemeinen LZS des GAA zu Gunsten der Mandanten aus. Wenngleich dies erfreulich erscheint, bedeuten die Urteile zugleich eine Absage an den oftmals monierten Umstand, dass die typisierten Nutzungsdauern nach dem BewG und dem BauGB bzw. der ImmoWertV abweichen. In dem Urteil ist daher auch eine Bekräftigung des Systems der pauschalierenden, typisierenden Bewertung zu sehen, wie es auch der BFH-Beschluss v. 30.8.2023 im Verfahren II B 35/22, BFH/NV 2023, 1300-1302 ausgeurteilt hat. Gleichwohl hat das FG die Revision gegen das Urteil auf Grund der bestehenden Differenzen in der Bewertung nach dem BewG und der ImmoWertV wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Zu sehen ist in diesem Zusammenhang allerdings auch, dass die Problematik insbesondere Anwendungsfälle der alten Rechtslage betrifft. Durch die Änderungen im BewG durch das JStG 2022 mit Wirkung ab 20.12.2022 wurden die Vorgaben des BewG weiter an die des BauGB und die ImmoWertV angeglichen und die die hier streitige Frage der Nutzungsdauer von Gebäuden einheitlich geregelt, wenngleich die Bewertungsverfahren weiterhin nicht vollständig deckungsgleich sind. Gegen eines der Verfahren ist zwischenzeitlich vor dem BFH das Revisionsverfahren anhängig (Az. des BFH: II R 15/24). Verfahren in denen die Anwendung der vom GAA für Zwecke der Bewertung mitgeteilten Parameter und insbesondere der anzuwendende LZS streitgegenständlich sind, sollten daher unter Verweis auf das anhängige Revisionsverfahren offengehalten werden.