Gefährdung der Gemeinnützigkeit durch Untreuehandlungen einzelner Organmitglieder
Die Gewährung der Steuerbegünstigung für gemeinnützige Körperschaften setzt nach § 52 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 55 AO u.a. die selbstlose Förderung der gemeinnützigen Zwecke voraus. Das FG Düsseldorf musste sich in seiner Entscheidung 6 K 2425/21 vom 15.4.2024 mit der Frage befassen, ob einer gemeinnützigen GmbH (gGmbH) die Gemeinnützigkeit wegen einer Mittelfehlverwendung abzuerkennen ist, wenn der Geschäftsführer der gemeinnützigen GmbH Gelder veruntreut. Hier stellte sich insbesondere die Frage, ob das Fehlverhalten einzelner Organe der gGmbH zuzurechnen ist.
Sachverhalt:
Die Klägerin, eine gGmbH mit einem Aufsichtsrat, richtet sich gegen die Aberkennung des Status der Gemeinnützigkeit wegen einer Mittelfehlverwendung. Die B war Geschäftsführerin der gGmbH und der A Vorsitzender des Aufsichtsrats. Der Aufsichtsratsvorsitzende wurde – mit Genehmigung durch den Aufsichtsrat – im Jahr 2013 beauftragt, den Anstellungsvertrag mit der Geschäftsführerin B zu verlängern. Zusätzlich zu der Verlängerung des Anstellungsvertrags vereinbarten A und B – ohne entsprechenden Beschluss des Aufsichtsrats – schriftlich eine Erhöhung des Geschäftsführergehalts. Im Jahr 2016 vereinbarten A und B – erneut ohne entsprechenden Beschluss des Aufsichtsrats – schriftlich eine weitere Anhebung des Geschäftsführergehalts. Keine dieser zusätzlichen Vereinbarungen wurde dem Aufsichtsrat vorgelegt. Die Erhöhung der Vergütung blieb dem Aufsichtsrat bis ins Jahr 2017 unbekannt.
Nach einem Wechsel im Aufsichtsratsvorsitz im Jahr 2017 gelangten die Änderungsvereinbarungen zwischen A und B zur Kenntnis des Aufsichtsrats. Die B wurde nach Aufklärung und Prüfung des Sachverhalts im Jahr 2018 mit sofortiger Wirkung als Geschäftsführerin abberufen und außerordentlich fristlos gekündigt. Zudem forderte die gGmbH zivilrechtlich vor dem Landgericht von A und B die nicht vom Aufsichtsrat gebilligten Gehaltserhöhungen zurück.
Das beklagte Finanzamt ging davon aus, dass die gGmbH für die Jahre 2013 bis 2018 nicht die Voraussetzungen der Selbstlosigkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 3 AO erfüllte und erkannte wegen der überhöhten Gehaltszahlungen an die Geschäftsführerin für diese Jahre die Gemeinnützigkeit ab.
Entscheidungsgründe:
Das FG Düsseldorf erachtete die Klage der gGmbH für begründet. Die Klägerin habe in den Streitjahren nicht die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 3 AO erfüllt; sie handelte daher selbstlos im Sinne des § 52 Abs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 AO.
Ein Verstoß gegen § 55 Abs. 1 Nr. 3 AO, wonach die Körperschaft keine Person durch unverhältnismäßig hohe Vergütungen begünstigen darf, scheitert nach Auffassung des FG daran, dass der Wortlaut der Norm ein aktives Begünstigen voraussetzt. Die gGmbH wurde jedoch von A und B durch ihr Handeln geschädigt und nicht aktiv begünstigt.
Auch eine Mittelfehlverwendung im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 AO, wonach die Mittel der Körperschaft nur für die satzungsmäßigen Zwecke verwendet werden dürfen, liege nicht vor. Objektiv liege zwar durch die rechtsgrundlos erfolgten Auszahlungen eine Mittelfehlverwendung vor. Es fehle aber an einer der gGmbH zuzurechnenden Handlung des Aufsichtsratsvorsitzenden A.
Das FG verweist hierzu auf die Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Urt. V R 17/99 v. 27.9.2001, BStBl. 2002 II, 169 unter Verweis auf BFH-Urt. I 319/60 v. 31.7.1963, HFR 19637, 407) und stellt fest, dass ein eigenmächtiges Handeln eines Organs der Körperschaft nur dann zugerechnet werden könne, wenn der Sachverhalt den anderen Organen infolge grober Vernachlässigung der ihnen obliegenden Überwachungspflichten verborgen geblieben sei. Dabei ist nach Auffassung des FG ferner zu berücksichtigen, dass bei ehrenamtlich tätigen Organen im Hinblick auf ein Überwachungsverschulden ein anderer Maßstab an die Kontrollpflichten zu stellen sei, als bei großen Einrichtungen mit hauptamtlichen Organen. Das FG erkannte eine bloß einfache Pflichtverletzung, die aber – in Abgrenzung zur groben Pflichtverletzung – nicht ungewöhnlich hoch und unentschuldbar war, da die A und B den Aufsichtsrat und die Anteilseigner mit erheblicher krimineller Energie getäuscht hatten.
Einordnung:
Die tatsächliche Geschäftsführung der gemeinnützigen Körperschaft muss nach § 63 Abs. 1 AO den Anforderungen gemeinnützigen Handelns entsprechen. Die gemeinnützigen Körperschaften dürfen ihre Mittel daher gemäß § 55 Abs. 1 AO ausschließlich für ihre steuerbegünstigten Zwecke verwenden.
Bei Fehlverhalten einzelner Organe der gemeinnützigen Körperschaft stellt sich dabei die Frage nach der Zurechnung des Verhaltens der einzelnen Personen zur gemeinnützigen Körperschaft. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem Handeln der Organe innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs/ihrer Vertretungsmacht und eigenmächtigem Handeln. Das Handeln der Organe innerhalb des Zuständigkeitsbereichs/der Vertretungsmacht wird stets zugerechnet; bei eigenmächtigem Handeln kommt es auf das Organisationsverschulden in der Körperschaft je nach Einzelfall an, vgl. Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 63 Rz. 5 (Stand: April 2020). Das FG Düsseldorf stellt dabei als Maßstab auf eine grobe Vernachlässigung der dem Aufsichtsrat als Kontrollorgan zustehenden Überwachungspflichten ab, kritisch dazu Koenig, in: Koenig, AO, 5. Aufl. 2024, § 63 Rz. 4.
Die Entscheidung zeigt die Bedeutung von wirksamen Compliance Systemen, auch in gemeinnützigen Körperschaften. Hiermit kann bei Fehlverhalten von Organen u.a. gegen das Vorliegen eines Überwachungs- bzw. Organisationsverschuldens argumentiert werden. Wird gravierendes Fehlverhalten von Organen der gemeinnützigen Körperschaft festgestellt, muss eine ausführliche interne Aufarbeitung des Sachverhalts erfolgen und es sind angemessene Maßnahmen gegen die handelnden Personen zu ergreifen. Eine schädliche Mittelfehlverwendung kann nämlich auch in dem sachgrundlosen Verzicht auf die Geltendmachung von möglichen Ersatzansprüchen gegen den bzw. die Schädiger liegen, vgl. dazu Hüttemann, in: Schauhoff/Kirchhain, Hdb. Gemeinnützigkeit, 5. Aufl. 2021, Rz. 4.228.
Als Verteidigungsmöglichkeit gegen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit kann in der Abwehrberatung ferner das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Korrektiv zum fehlenden Ermessen der Finanzverwaltung herangeführt werden, vgl. zum Verstoß gegen das Mittelverwendungsverbot des § 55 AO BFH-Urteil V R 5/17 v. 12.3.2020, BStBl. 2021 II, 55, Rz. 61.
Verfasst von:
Jacob Eisenreich
Wissenschaftlicher Mitarbeiter