EuGH: Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze einer umsatzsteuerlichen Organschaft bestätigt
Der EuGH hat mit Urteil vom 11.7.2024 (Az.: C-184/23 „Finanzamt T II“) die Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen in einer umsatzsteuerlichen Organschaft bestätigt. Die Entscheidung des EuGH bringt Rechtssicherheit für das Gestaltungsinstrument der umsatzsteuerlichen Organschaft.
Hintergrund:
Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG ist eine juristische Person (Organgesellschaft), die eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit ausübt, nicht selbstständig tätig, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist. Nach dem bisherigen deutschen Verständnis unterliegen Umsätze innerhalb des Organkreises (also zwischen Organträger und Organgesellschaft oder zwischen verschiedenen Organgesellschaften) nicht der Umsatzsteuer. An dieser Auffassung hatte der V. Senat des BFH aber mit Beschluss vom 26.1.2023 (Az.: V R 20/22 [V R 40/19) im Nachgang zum EuGH-Urteil vom 1.12.2022 (Az.: C-269/20 „Finanzamt T“) und zudem unter Verweis auf die Entscheidung des EuGH vom 1.12.2022 (Az.: C-141/20 „Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie“) Zweifel gehegt.
Sachverhalt:
Die Klägerin im Ausgangsverfahren ist eine deutsche Stiftung des öffentlichen Rechts. Sie ist Trägerin einer Universität mit dem Bereich Universitätsmedizin und Organträgerin der U-GmbH. Die U-GmbH erbrachte im Streitjahr u.a. Reinigungsleistungen sowohl für den wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich der Stiftung, der der Versorgung von Patienten dient, als auch für den hoheitlichen Bereich der Stiftung (z.B. Hörsäle, Labore, die für die Ausbildung der Studierenden genutzt werden). Die Steuerbarkeit der (Innen-)Leistungen der U-GmbH in den nichtunternehmerischen Bereich der Stiftung sind im Ausgangsverfahren streitig.
Der BFH hat in diesem Zusammenhang den EuGH gefragt, ob die Leistungen innerhalb der Organschaft als steuerbar zu behandeln sind und ob der Umstand, dass der Leistungsempfänger die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer nicht als Vorsteuer abziehen darf, zu berücksichtigen ist, weil in einem solchen Fall die Gefahr von Steuerverlusten bestünde, vgl. BFH-Beschl. V R 20/22 (V R 40/19) v. 26.1.2023, BStBl. 2023 II, 530.
Entscheidung des EuGH:
Der EuGH hält die deutsche Auffassung, wonach Innenumsätze innerhalb der umsatzsteuerlichen Organschaft nicht steuerbar sind, für europarechtskonform, auch in den Fällen, in denen der Leistungsempfänger nicht (oder nur teilweise) zum Vorsteuerabzug berechtigt ist:
„Art. 2 Nr. 1 und Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG sind dahin auszulegen, dass gegen Entgelt erbrachte Leistungen zwischen Personen, die ein und derselben Mehrwertsteuergruppe angehören, selbst dann nicht der Mehrwertsteuer unterliegen, wenn die vom Empfänger dieser Leistungen geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer nicht als Vorsteuer abgezogen werden darf.“
Der EuGH stellt in seiner Entscheidung klar, dass er sich in seinem Urteil vom 1.12.2022 in der Rs. Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie (Az.: C-141/20) nicht mit der Frage befasst hat, ob die zwischen Mitgliedern derselben Mehrwertsteuergruppe erbrachten Leistungen der Mehrwertsteuer unterliegen.
Nach dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie (jetzt: Art. 11 MwStSystRL) stehe es den Mitgliedstaaten frei, die rechtlich unabhängigen, aber durch finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbundenen Einheiten als „einen Steuerpflichtigen“ zu behandeln; die eingegliederten Einheiten können dann nicht als eigenständige Steuerpflichtige behandelt werden. Die Leistungen eines Leistenden für eine andere Einheit innerhalb dieser Gruppe, die als ein Steuerpflichtiger zu behandeln ist, könne folglich nicht der Mehrwertsteuer unterliegen. Als Auslegungshilfe verweist der EuGH zudem auf zwei unverbindliche Stellungnahmen des Mehrwertsteuerausschusses (119. Sitzung vom 22.11.2021) und der Kommission (KOM[2009] 325 endgültig), die ebenfalls davon ausgehen, dass Umsätze zwischen den einzelnen Mitgliedern ein und derselben Mehrwertsteuergruppe im Hinblick auf die Mehrwertsteuer nicht existent sind.
Die Bedenken des V. Senats des BFH im Hinblick auf die Gefahr von Steuerverlusten, wenn der Leistungsempfänger nicht (oder nur teilweise) zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, teilt der EuGH ebenfalls nicht. Diese Gefahr von Steuerverlusten ergeben sich nicht aus der Anwendung der Vorschriften über die umsatzsteuerliche Organschaft, sondern aus den Vorschriften über den Vorsteuerabzug.
Einordnung:
Der EuGH hält mit seiner Entscheidung das Gestaltungsinstrument der umsatzsteuerlichen Organschaft „am Leben“. Die Innenumsätze innerhalb einer Organschaft können auch weiterhin als nicht steuerbar behandelt werden. Diese Bestätigung der deutschen Auffassung durch den EuGH ist insbesondere für die umsatzsteuerlichen Organschaften von Bedeutung, in denen die Leistungsempfänger nicht oder nur teilweise zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, vgl. Brill, NWB 2023, 888. Das betrifft neben Banken und Versicherungen auch den sozialen Bereich sowie den nichtunternehmerischen Bereich einer jPdöR. Die Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen ermöglicht es diesen Unternehmen, einer Umsatzsteuerkumulation aufgrund fehlender vollständiger Vorsteuerabzugsberechtigung des Leistungsempfängers entgegenzuwirken, vgl. Heber, in: Wäger, UStG, 3. Aufl. 2024, § 2 Rz. 148.
Hinweis:
Der BFH hat das Ausgangsverfahren unter dem Az. V R 14/24 wieder aufgenommen.
Verfasst von:
Jacob Eisenreich
Wissenschaftlicher Mitarbeiter