Förderung des demokratischen Staatswesens als gemeinnütziger Zweck und Prüfungstiefe bei Freistellungsbescheiden nach § 60a AO
Das FG Berlin-Brandenburg hat sich mit Urteil vom 14. November 2023 (Az. 8 K 8012/23) zu der Prüfungstiefe des § 60a Abs. 6 AO (tatsächliche Geschäftsführung) bei der Versagung eines Freistellungsbescheides nach § 60a Abs. 1 AO und dem Begriff der Förderung des demokratischen Staatswesens gem. § 52 Abs. 2 Nr. 24 AO geäußert.
Sachverhalt:
Der Kläger betrieb auf einer Internetseite einen sog. Online-Blog, auf welchem einzelne Beiträge veröffentlicht werden. Nach der Satzung verfolgt der Kläger ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne der AO. Zweck des Vereins des Klägers ist nach der Satzung die öffentliche Diskussion rechtlicher, insbesondere verfassungsrechtlicher Fragen und die Veröffentlichung von Erklärungen, mit denen Demokratie und Rechtstaatlichkeit gestärkt werden. Aus der Satzung ergibt sich, dass der Kläger parteipolitisch neutral ist und sich von jedweder extremistischen Störung abgrenzt.
Im Jahr 2021 begehrte der Kläger vom beklagten Finanzamt die hier strittige Feststellung nach § 60a AO. Das Finanzamt versagte dem Kläger die Erteilung eines Feststellungsbescheides nach § 60a Abs. 1 AO auf Grundlage von § 60a Abs. 6 AO, da auf Grund der Darstellung des Vereins im Internet die tatsächliche Geschäftsführung des Vereins nicht mit den satzungsmäßigen Festlegungen übereinstimme.
Gegen die Ablehnung der Feststellung nach § 60a Abs. 1 AO legte der Kläger Einspruch und Klage ein.
Entscheidungsgründe:
Das FG Berlin-Brandenburg hat die Klage, gerichtet auf die Erteilung eines Freistellungsbescheids nach § 60a Abs. 1 AO, als unbegründet angesehen. Die Voraussetzungen des § 60a Abs. 1 Satz 1 AO liegen zwar vor; die Feststellung der satzungsmäßigen Voraussetzungen durch das beklagte Finanzamt ist jedoch im Streitfall nach der Vorschrift des § 60a Abs. 6 AO gesperrt.
Nach § 60a Abs. 6 AO ist die Feststellung der Einhaltung der satzungsmäßigen Voraussetzungen nach § 60a Abs. 1 AO abzulehnen, wenn bis zum Zeitpunkt des Erlasses des erstmaligen Körperschaftsteuerbescheids oder Freistellungsbescheids bereits Erkenntnisse vorliegen, dass die tatsächliche Geschäftsführung gegen die satzungsmäßigen Voraussetzungen verstößt. Dass die Vorschrift des § 60a Abs. 6 AO ausweislich der Gesetzesbegründung den Zweck hat, die rechtsmissbräuchliche Verwendung des Feststellungsbescheids durch z.B. extremistische Organisationen zu verhindern, begründet nach Ansicht des FG keine einschränkende Auslegung.
Die Prüfung der tatsächlichen Geschäftsführung ist nach Auffassung des FG Berlin-Brandenburg zudem nicht auf bestimmte Prüffelder, wie etwa das Vorliegen ordnungsgemäßer Aufzeichnungen über die Einnahmen und Ausgaben, beschränkt. Nach der Überzeugung des Gerichts lagen dem beklagten Finanzamt auch hinreichende Erkenntnisse vor, dass die tatsächliche Geschäftsführung gegen die satzungsmäßigen Voraussetzungen verstößt. Die von dem Kläger vorgelegten Unterlagen sowie die Blogbeiträge auf seiner Internetseite entsprechen nicht dem in der Satzung festgelegten Zweck der Förderung des demokratischen Staatswesens i.S. des § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 24 AO. Hierbei bekräftigt das FG die sog. Attac-Rechtsprechung des BFH, wonach die Vereinigungen zur Förderung des demokratischen Staatswesens in ihrer „politischen Bildung“ „geistig offen“ sein müssen und nicht gerade das Ziel verfolgen dürfen, Lösungsvorschläge für Problemfelder der Tagespolitik durchzusetzen, vgl. BFH-Urt. V R 60/17 v. 10.1.2019, BStBl. 2019 II, 301. Die Tätigkeit des Klägers unterscheide sich aber nicht von sonstigen Themenblogs im Internet oder einfachen Nachrichtenkanälen.
Abschließend weist das FG darauf hin, dass die Versagung des Feststellungsbescheids nach § 60a Abs. 6 AO nicht zu einer abschließenden Entscheidung hinsichtlich der Freistellung führt, denn diese erfolgt allein im Veranlagungsverfahren. Der Regelungsgehalt des Ablehnungsbescheides nach § 60a Abs. 6 AO betrifft nur die fehlende vorläufige Vertrauensschutzwirkung der gesonderten Feststellung der satzungsmäßigen Voraussetzungen.
Einordnung:
Vor der Einführung des § 60a Abs. 6 AO durch das Jahressteuergesetz 2020 vom 21.12.2020 war zwischen Finanzverwaltung, Literatur und Rechtsprechung umstritten, ob bei der Entscheidung über die Erteilung eines Freistellungsbescheides nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AO nur die satzungsmäßigen Voraussetzungen oder auch die tatsächliche Geschäftsführung zu prüfen ist. Durch die Einführung des § 60a Abs. 6 AO hat der Gesetzgeber nunmehr gesetzlich geregelt, dass der Erlass eines Feststellungsbescheids abzulehnen ist, wenn der Finanzbehörde vor Erlass des Feststellungsbescheids bekannt ist, dass die tatsächliche Geschäftsführung der Körperschaft nicht satzungsgemäß erfolgt.
Die Versagung der Freistellung nach § 60a Abs. 6 AO ist nur vorläufig; eine negative Bindungswirkung des Verfahrens nach § 60a Abs. 6 AO ergibt sich nach zutreffender Auffassung des FG nicht. Die Auswirkungen der Versagung eines Bescheids nach § 60a Abs. 1 AO bedeutet aber, dass die positive Bindungswirkung nach § 60a Abs. 1 Satz 2 AO nicht eintritt, die u.a. für den Spendenabzug von Bedeutung ist. Für neu gegründete gemeinnützige Organisationen ist mithin bereits im Gründungsstadium darauf zu achten, dass die Außendarstellung (insbesondere auf der Website) auch tatsächlich den satzungsmäßigen Voraussetzungen entspricht. Insbesondere für die politische Betätigung von Gemeinnützigen besteht hier nach der Gemeinnützigkeitsrechtsprechung des BFH Rechtsunsicherheit, vgl. bereits unseren Newsletter vom 23.11.2023.
Die Entscheidung des FG Berlin-Brandenburg im Streitfall zeigt, dass für die Versagung des Freistellungsbescheids „hinreichende Erkenntnisse“ zur tatsächlichen Geschäftsführung ausreichen. Eine abschließende Amtsermittlung muss das Finanzamt nicht durchführen; nach Auffassung des FG beschränkt sich auch die gerichtliche Prüfung auf die Frage, ob die dem Finanzamt vorliegenden Erkenntnisse hinreichend substantiiert sind, dass sie einen eindeutigen Rückschluss auf eine Verletzung der materiellen Gemeinnützigkeit zulassen. Der BFH hat in dem vom FG zugelassenen Revisionsverfahren die Möglichkeit, die Auffassung des FG hinsichtlich der Prüfungstiefe bei einer Versagung nach § 60a AO zu überprüfen.