[1] Zwei zu je 50 % an einer GmbH beteiligte Gesellschafter veräußerten ihre zum steuerlichen Privatvermögen gehörenden Beteiligungen wechselseitig zu einem Veräußerungspreis, der sehr deutlich unter dem nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren gem. § 200 BewG geschätzten Wert lag. Wegen des krassen Missverhältnisses zwischen Kaufpreis und geschätztem Ertragswert erkannte das Sächsische FG mit Urt. 8 K 1102/20 v. 6.5.2021, EFG 2021, 2063 (Rev. unter Az. IX R 18/21 anhängig), wegen Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 AO die geltend gemachten Veräußerungsverluste nach § 17 EStG nicht an.
Anm.: Im Fall angemessener Kaufpreise hätte das FG – wie man der Urteilsbegründung entnehmen kann – § 42 AO im Hinblick auf das BFH-Urt. IX R 40/09 v. 7.12.2010, BStBl. 2011 II, 427, das eine Verlustrealisierung nach § 17 EStG durch ringweise Anteilsveräußerungen unter den Gesellschaftern anerkannt hat, nicht angewandt. Grundsätzlich akzeptiert der BFH in ständiger Rspr. die gezielte Realisierung echter steuerlicher Verluste, vgl. die Nachweise bei Korn/Strahl, NWB 2021, 3562, 3610. Im Streitfall könnte der Berücksichtigung der Verluste unabhängig von § 42 AO entgegenstehen, dass die Anteilsübertragung teilentgeltlich (möglicherweise weitgehend unentgeltlich) erfolgt ist, vgl. auch Falk, EFG 2021, 264. Allerdings ist die griffweise Bewertung nach der vereinfachten Ertragswertmethode strittig; von Klägerseite wird vorgetragen, dass angesichts sich abzeichnender Probleme für die Branche die Geschäfte der GmbH künftig nicht mehr gewinnversprechend seien. [kk]
[2] Zahlreiche Steuerbefreiungen und Lohnsteuerpauschalierungsmöglichkeiten sind davon abhängig, dass der betroffene Arbeitslohn zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn geleistet wird, vgl. Korn/Strahl, NWB 2021, 3562, 3594. Nach der Rspr. (BFH-Urt. VI R 32/18 v. 1.8.2019, BStBl. 2020 II, 106) war – entgegen der Verwaltungsauffassung – die Zusätzlichkeitsvoraussetzung auch erfüllt, wenn der verwendungsfreie Arbeitslohn zugunsten verwendungs- oder zweckgebundener Leistungen des Arbeitgebers arbeitsrechtlich wirksam herabgesetzt wird (sog. Lohnformwechsel). Die FinVerw. hatte die Entscheidung nicht angewandt, Nichtanwendungserlass v. 5.2.2020, BStBl. 2020 I, 222. Zwischenzeitlich ist durch das JStG 2020 mit Wirkung ab 1.1.2020 eine verbösernde Gesetzesänderung in Gestalt des § 8 Abs. 4 EStG erfolgt, s. dazu Strahl, kösdi 2021, 22104, 22108. Mit BMF-Schr. IV C 5 – S 2334/19/10017:004 v. 5.1.2022 hat die FinVerw. ihren Nichtanwendungserlass aufgehoben und wendet das BFH-Urt. in allen offenen Fällen der VZ bis einschl. 2019 an, darauf hinweisend, dass tarifgebundener verwendungsfreier Arbeitslohn auch danach nicht zugunsten bestimmter anderer steuerbegünstigter Leistungen herabgesetzt oder zugunsten dieser umgewandelt werden kann, da der tarifliche Arbeitslohn nach Wegfall der steuerbegünstigten Leistungen wieder auflebt. [kk]
[3] In der Grundsatzentscheidung IX R 11/19 v. 29.9.2021 hat der BFH klargestellt, dass die Übertragung von Vermögen, das nicht zu dem nach § 10 Abs. 1a Nr. 2 Satz 2 EStG gehörenden begünstigten Vermögen gehört (also nicht begünstigtes Vermögen), gegen wiederkehrende Versorgungsleistungen ertragsteuerrechtlich zu entgeltlichen bzw. teilentgeltlichen Vermögensübertragungen führt. Im Fall der Übertragung eines Vermietungsobjekts des Privatvermögens gegen Leibrente führen die wiederkehrenden Leistungen des Übernehmers an den Übergeber in Höhe des Barwerts zu Anschaffungskosten, die bei der Berechnung der AfA berücksichtigt werden, und in Höhe des nach § 22 Abs. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG zu ermittelnden Zinsanteils zu Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Gegen den nur partiellen Abzug (anders als den vollen Abzug als Sonderausgaben bei Vermögensübertragungen iS des § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG) hat der BFH keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Anm.: Zur Klärung der grundsätzlichen Beurteilung hatte der BFH im Vorfeld mit Beschl. XI R 11/19 v. 28.4.2020 das BMF zum Verfahrensbeitritt aufgefordert. – Das Urt. entspricht der Verwaltungsauffassung und der vorherrschenden Auffassung im Fachschrifttum. Das FG hatte den Werbungskostenabzug abgelehnt, davon ausgehend, dass Vermögensübertragungen dieser Art außerhalb der Einkünfteerzielung erfolgen. – Neben den lebenslangen Rentenzahlungen hatte der Kläger noch eine zusätzliche Gegenleistung in Gestalt der Übernahme einer Grundstücksverbindlichkeit erbracht, deren Übergang auf den Erwerber der Gläubiger abgelehnt hatte. Unter Berücksichtigung dieses Betrags und des Rentenbarwerts ist zu prüfen, ob es sich um eine teilentgeltliche Übertragung handelt, was die Feststellung des Verkehrswerts des übertragenen Grundvermögens erfordert. Im Fall der Teilentgeltlichkeit ergeben sich zwei Abschreibungsreihen, nämlich eine AfA aus den Anschaffungskosten und eine Fortführung der AfA, die der Rechtsvorgänger noch vornehmen konnte. Der BFH hat die Sache zurückverwiesen, damit das FG dazu noch Sachverhaltsermittlungen anstellt. [kk]
[4] Die Unklarheit oder mangelhafte Durchführung von steuerrelevanten Vereinbarungen zwischen Nahestehenden kann dazu führen, dass die angestrebten Einkommensminderungen nicht anerkannt werden. Nach inzwischen gefestigter Rspr. gilt dies jedoch nur, soweit die Mängel so bedeutsam sind, dass sich aus ihnen der mangelnde Rechtsbindungswille der Betroffenen ergibt. Davon ausgehend, hat sich der BFH mit Urt. X R 3/20 v. 16.6.2021 mit einem „Hofübergabe- und Altenteilsvertrag und Erbverzichtsvertrag“ gegen Versorgungsleistungen auseinandergesetzt. Diese Versorgungsleistungen bestanden aus der Barzahlung (zunächst 200 € monatlich, später 300 € und 350 € monatlich), einem Wohnrecht, der Übernahme der Nebenkosten des Wohnrechts und von Telefonkosten sowie der „Hege und Pflege in Alten- und Krankentagen“, letzteres jedoch nur bis zum Umfang der Pflegestufe 1. Problematisiert hatte das FA (und ihm folgend das FG), dass die bar zu zahlende Monatsrente nicht so erbracht wurde, wie es der Vertrag vorsah. Der BFH hat das Urt. des FG aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachverhaltsermittlung zurückverwiesen. Dazu hat der BFH hervorgehoben: (a) Es muss dem Abzug von Versorgungsleistungen nicht entgegenstehen, wenn eine vertraglich vereinbarte Erhöhung des bar zu zahlenden Teils der Altenteilsleistungen, die zum 65. Lebensjahr des Berechtigten vorgenommen werden soll, unterbleibt, weil man sie vergessen hat. (b) Bei der zur Feststellung des Rechtsbindungswillens erforderlichen Gesamtbeurteilung hat ein vereinbartes und tatsächlich durchgeführtes Wohnrecht erhebliche Bedeutung (der BFH hat offengelassen, ob im Fall der Anerkennung das Wohnrecht nach zwischenzeitlicher Rechtsentwicklung – entgegen der Verwaltungsauffassung – zu den nach § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG [im Streitfall noch § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG] abzugsfähigen Beträgen gehört). (c) Die Begrenzung der Pflegekosten auf die Pflegestufe 1 hält der BFH für unschädlich.
Anm.: Im zweiten Rechtsgang muss das FG noch zahlreichen Einzelfragen nachgehen, die mit der Abwicklung der Versorgungsleistungen, insbesondere den Barrentenzahlungen zusammenhängen. Das Urt. zeigt, dass nach dem Gesamtbild geringfügige Mängel den Sonderausgabenabzug zwar nicht torpedieren, aber es durchaus höchst ratsam ist, die getroffenen Vereinbarungen exakt durchzuführen. – Erwogen werden sollte im Hinblick auf das obiter dictum des BFH die bisher unterbliebene Geltendmachung des Werts des Wohnrechts als Bestandteil der Altenteilsleistung. [kk]
[5] Sonderfall der Anwendung von §§ 10 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 und 22 Nr. 1a EStG: Wiederkehrende Leistungen und Zahlungen, die der Erblasser durch letztwillige Verfügung einem Vorerben zugunsten eines zum Generationennachfolge-Verbund gehörenden Nacherben für die Dauer der Vorerbschaft auferlegt und die aus dem übergegangenen Vermögen zu erbringen sind, können dem Rechtsinstitut der Vermögensübertragung gegen Versorgungsleistungen zuzuordnen sein, BFH-Urt. X R 30/20 v. 16.6.2021.
Anm.: Im Streitfall ging es um den Übergang von Immobilienvermögen durch Erbfolge auf eine Vorerbin, die dem vorgesehenen Nacherben bis zu ihrem Tod 25 % der Einnahmen aus dem vererbten Grund- und Wertpapiervermögen zahlen musste. Streitpunkt war, ob der Nacherbe diese Einnahmen nach § 22 EStG zu versteuern hat, und zwar in voller Höhe. Die testamentarische Regelung datierte aus der Zeit, als die nach aktuellem Recht bestehende Beschränkung des Sonderrechts nach § 10 Abs. 1a Nr. 2 EStG auf die Übertragung bestimmten Vermögens noch nicht galt. Der BFH hat die Entscheidung des FG bestätigt, das sich (mit dem FA) für eine vollumfängliche Besteuerung der Leistungen ausgesprochen hat, die der Kläger (Nacherbe) von der Vorerbin erhalten hatte. [kk]
[6] Die nur einmalig im Leben beanspruchbare Steuervergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG für Veräußerungsgewinne wird auch dadurch verbraucht, dass das FA sie in der Vergangenheit gewährt hat, ohne dass die Voraussetzungen dafür vorlagen und der Stpfl. einen diesbezüglichen Antrag gestellt hatte (anders kann der Fall nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nur beurteilt werden, wenn die rechtsirrige Gewährung der Vergünstigung im früheren Bescheid für den Stpfl. angesichts der geringen Höhe der Vergünstigung und wegen des Fehlens eines Hinweises des FA nicht erkennbar war), BFH-Urt. VIII R 2/19 v. 28.9.2021.
Anm.: Dem freiberuflich tätigen Kläger wurde im Jahr 2016 für einen Veräußerungsgewinn die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG versagt, weil das FA im Jahr 2006 für eine Nachzahlung der Kassenärztlichen Vereinigung von 39.932 €, für die ihm die Tarifermäßigung nach § 24 Nr. 1 und 3 EStG bzw. § 34 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 EStG zugestanden hätte, fälschlich die Tarifvergünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG gewährt hatte. [kk]