Verfassungswidrigkeit der Höhe des Zinssatzes für Aussetzungszinsen? BFH-Beschl. v. 8.5.2024, VIII R 9/23
Auf Grund von verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Höhe der Aussetzungszinsen (§237 AO) hat der BFH mit Beschl. v. 8.5.2024 die Vorlage der Rechtsfrage an das BVerfG beschlossen.Somit hat das BVerG nun zu entscheiden, ob die Höhe der Aussetzungszinsen mit Art. 3 GG vereinbar ist und sich damit als verfassungsgemäß oder –widrig herausstellt.
Sachverhalt:
Streitgegenständlich war im Verfahren vor dem BFH die Festsetzung von Zinsen wegen einer gewährten Aussetzung der Vollziehung das Streitjahr 2012 betreffend. Die Aussetzung der Vollziehung wurde für die Monate Januar 2019 bis April 2021 (27 Monate) berechnet und festgesetzt und dabei von einem Zinssatz in Höhe von 0,5% pro Monat (§ 238 Abs. 1 AO) ausgegangen. Einspruchs- und Klageverfahren, in denen die Höhe des Zinssatzes beanstandet wurden, blieben ohne Erfolg.
Einordnung:
Einspruch und Klage haben im finanzbehörd- bzw. finanzgerichtlichen Verfahren grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, weswegen die Vollziehung eines Verwaltungsakts nicht automatisch durch dessen Anfechtung mit Einspruch oder Klage ausgesetzt wird. Zur Aussetzung der Vollziehung bedarf es eines Antrags (§ 361 AO, § 69 FGO), der positiv bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids zu bescheiden ist. Hat der Rechtsbehelf endgültig keinen Erfolg, ist der von der Vollziehung ausgesetzte Betrag gem. § 237 iVm. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO zu verzinsen. Insoweit steht der Vorteil, die Steuer zunächst nicht begleichen zu müssen, dem Risiko einer etwaigen Verzinsung bei Unterliegen im Rechtsstreit gegenüber.
Ehemals galt der Zinssatz gem. § 238 Abs. 1 AO gleichermaßen für Nachzahlungs-, AdV-, Stundungs- und Hinterziehungszinsen. Nachdem das BVerfG die Höhe des Zinssatzes für verfassungswidrig erklärt hatte (vgl. BVerfG, Beschl. 1 BvR 2237/14 v. 8.7.2021, BVerfGE 158, 282-388), wurde § 238 AO insoweit geändert, als dass der Zinssatz für Zinsen iS. von § 233a AO in § 238 Abs. 1a bis 1c AO neu geregelt wurde, vgl. Art. 1 Nr. 5 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung v. 12.7.2022. Seither gilt für Nachzahlungszinsen der (niedrigere) Zinssatz von 1,8% p.a..
Die Differenzierung zwischen Nachzahlungs- und Aussetzungszinsen wurde seinerzeit damit begründet, dass die Verwirklichung des Zinstatbestands und damit die Entstehung von Zinsen, bei Aussetzungszinsen grundsätzlich auf einen Antrag der Steuerpflichtigen zurückzuführen ist oder – wie insbesondere im Fall der Hinterziehungszinsen – jedenfalls von ihnen bewusst in Kauf genommen werden. Steuerpflichtige hätten daher – anders als bei der Verzinsung gem. § 233a AO – grundsätzlich die Wahl, ob sie den Zinstatbestand verwirklichen und den in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geregelten Zinssatz hinnehmen oder ob sie die Steuerschuld tilgen und sich im Bedarfsfall die erforderlichen Geldmittel zur Begleichung der Steuerschuld anderweitig zu zinsgünstigeren Konditionen beschaffen.
Nunmehr erkennt der BFH eine verfassungsrechtlich nicht gebotene Ungleichbehandlung zwischen Steuerpflichtigen, die die AdV in Anspruch nehmen und denen, die die Steuer vorläufig entrichten. Das Argument, der Stpfl. könne selber entscheiden, ob er durch die Beantragung der Aussetzung der Vollziehung die Festsetzung von Aussetzungszinsen in Kauf nehme, erachtet der BFH nunmehr als sog. „Ausweichoption“, die nicht geeignet ist, eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Vor dem Zweck der Aussetzungszinsen, typischerweise entstehende Liquiditätsvorteile abzuschöpfen sowie der aktuellen Niedrigzinsphase erachtet der BFH die Höhe des Zinssatzes als nicht erforderlich, um den Zweck der Regelung zu erreichen.
Interessanterweise stellt der BFH auch eine Ungleichbehandlung auf Grund der Neuregelung der Nachzahlungszinsen iS. von § 233a AO fest. Diese liegt darin, dass derjenige, dessen Steuer von vornherein später festgesetzt wird seit dem 01.01.2019 nur mit dem niedrigeren Zinssatz von 1,8 % belastet ist, während derjenige, der einen Rechtsbehelf führt und verliert und dabei Aussetzung der Vollziehung beantragt hat, mit jährlichen Zinsen von 6 % belastet wird. Der BFH erachtet insoweit eine Prüfung an Hand des Willkürmaßstabs für erforderlich.
Praxishinweis:
Die Zweifel des BFH an der Verfassungsmäßigkeit sind zu begrüßen. Dies insbesondere auch deswegen, da das BVerfG im Rahmen seiner Entscheidung zur Verfassungswidrigkeit der Höhe des Zinssatzes für Nachzahlungszinsen iS. von § 233a AO noch betont hatte, dass die verfassungsrechtlichen Bedenken nur in Bezug auf die Verzinsung gem. § 233a AO bestehen, nicht jedoch in Bezug auf Stundungs-, Aussetzungs- und Hinterziehungszinsen, vgl. BVerfG, Beschl. 1 BvR 2237/14 v. 8.7.2021, BVerfGE 158, 282-388, Rz. 242.
In zeitlicher Hinsicht ist die Entscheidung des BVerfG auch deswegen mit Spannung zu erwarten, da gerade der gleiche Zeitraum ab dem 01.01.2019 zu beurteilen ist.
Im Ergebnis bleibt gleichwohl abzuwarten, wie die Entscheidung des BVerfG ausfällt. Bis dahin gilt es, sämtliche Festsetzungen von AdV Zinsen, aber auch Hinterziehungs- und Stundungszinsen, offen zu halten, da die Tragweite der Entscheidung aus Karlsruhe nicht vorherzusehen ist. Im Falle einer Entscheidung zu Gunsten der Stpfl. darf gehofft werden, dass die an dieser Stelle vielmals noch durchgeführte personelle Festsetzung von Zinsen, ein größeres maschinelles Chaos bei der Zinsfestsetzung verhindern wird.