[1] Der Regierungsentwurf für das Wachstumschancengesetz ist wegen eines Vetos der Familienministerin nicht – wie geplant – am 16.8.2023 verabschiedet worden. Es liegt jedoch der Entwurf dafür vor, der Gegenstand des Kabinettsbeschlusses sein sollte (Bearbeitungsstand 11.8.2023). Dieser Entwurf entspricht weitgehend dem Referentenentwurf, über den in kösdi 2023, 23336, ein Überblick vermittelt wurde. Hervorzuheben sind folgende Abweichungen vom Referentenentwurf:
- Der bisher vorgesehene Begünstigungszeitraum für die 15 %ige Investitionsprämie nach dem Klimaschutz-Investitionsprämiengesetz soll verlängert werden: Jeder Anspruchsberechtigte soll nach dem 31.12.2024 und vor dem 1.1.2032 maximal vier Anträge stellen können. Begünstigt sind Investitionen, die nach Gesetzesverkündung begonnen und vor dem 1.1.2030 abgeschlossen werden.
- Der Anwendungszeitraum für die degressive AfA nach § 7 Abs. 2 EStG soll auf Anschaffungen oder Herstellungen beweglicher Wirtschaftsgüter nach dem 30.9.2023 und vor dem 1.1.2025 verlängert werden.
- Die im Referentenentwurf vorgesehenen Änderungen der Zinsschrankenregelung in § 4h EStG entfallen z.T. Die Zinsaufwandsgrenze von 3 Mio. € nach § 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. a EStG bleibt eine Freigrenze, wird also nicht in einen Freibetrag umgestaltet. Die Stand-alone-Klausel und die Escape-Klausel nach § 4h Abs. 2 Satz 1 Buchst. b und c EStG bleiben bestehen. Die Stand-alone-Klausel soll aber nicht mehr an die Zugehörigkeit zu einem „Konzern“ anknüpfen, sondern daran, dass der Stpfl. keiner Person iS des § 1 Abs. 2 AStG nahesteht und über keine ausländische Betriebsstätte verfügt.
- Die sog. Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG soll nicht ausgesetzt, sondern der über 1 Mio. € hinausgehende Verlustvortrag lediglich statt bis zu 60 % bis zu 70 % des Gesamtbetrags der Einkünfte (und das auch nur temporär bis 2027) verrechenbar sein. Entsprechendes soll für den gewerbesteuerlichen Verlustvortrag nach § 10a GewStG gelten.
- Nach § 23 Abs. 25 GrEStG-Entw. sollen § 5 Abs. 3 Satz 1, § 6 Abs. 3 Satz 2, § 7 Abs. 3 Satz 1 und § 19 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG in der bis zum 31.12.2023 geltenden Fassung bis zum Ablauf der im Gesetz genannten Fristen für verwirklichte Übergänge nach § 5 Abs. 1 und 2 und § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG sowie Umwandlungen von Flächeneigentum nach § 7 Abs. 2 GrEStG mit der Maßgabe weiter anzuwenden sein, dass anstelle des Vermögens der Gesamthand das Gesellschaftsvermögen iS des MoPeG tritt. Zur beabsichtigten Änderung des GrEStG s. kösdi 2023, 23327, Report Nr. 346. [kk]
[2] Steuerliche Anerkennung eines Veräußerungsverlustes nach § 17 EStG nach Überpari-Emission: Bei der Beurteilung der Einkünfteerzielungsabsicht im Fall der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft nach § 17 EStG ist stets auf die Gesamtbeteiligung abzustellen; eine auf den einzelnen veräußerten Geschäftsanteil bezogene Betrachtung ist ausgeschlossen. Bei der Einkünfteermittlung erhöht nach der Rechtslage vor der Gesetzesänderung in § 17 Abs. 2a EStG das für einen bestimmten Geschäftsanteil gezahlte Aufgeld (Agio) die Anschaffungskosten des betroffenen Anteils, auch wenn die Summe aus dem Nennbetrag und dem Agio den Verkehrswert des Anteils übersteigt. Die gezielte Herbeiführung eines Verlustes durch die Veräußerung eines GmbH-Geschäftsanteils, dessen Anschaffungskosten aufgrund eines Aufgelds seinen Verkehrswert übersteigen, ist nicht ohne weiteres rechtsmissbräuchlich iS von § 42 AO. Das hat der BFH mit Urt. IX R 12/22 v. 3.5.2023 entschieden, vgl. dazu auch Strahl, NWB 2023, 2272.
Anm.: Der BFH hat einen Veräußerungsverlust iS des § 17 EStG bei folgendem Sachverhalt anerkannt: Die Klägerin gründete im November 2015 als Alleingesellschafterin eine GmbH, deren Gegenstand der Erwerb und die Verwaltung von Immobilien war, und zwar zunächst mit einem Stammkapital von 25.000 €, eingeteilt in 25.000 Anteile im Nennbetrag von jeweils 1 €. Schon Mitte Dezember 2015 wurde eine Kapitalerhöhung um 1.000 € vorgenommen. Die Klägerin übernahm den Anteil und zahlte dafür vereinbarungsgemäß ein Aufgeld von 500.000 € in die freie Kapitalrücklage der GmbH. Bereits am 28.12.2015 veräußerte sie 300 der alten Geschäftsanteile und den neuen zum (angemessenen) Kaufpreis von 26.300 € an den Ehemann, der dadurch zu 5 % am Kapital beteiligt war. – Das Urt. ist für die Gestaltungspraxis hoch interessant:
(a) Ob Einkünfteerzielungsabsicht trotz Veräußerungsverlust besteht, ist unter Einbeziehung etwaiger künftiger Ausschüttungseinkünfte zu prüfen, und zwar bezogen auf die Gesamtbeteiligung, obwohl jeder Geschäftsanteil ein selbständiges Wirtschaftsgut ist. Nur bei konkreten Anhaltspunkten für eine fehlende Einkünfteerzielungsabsicht kann es an dieser fehlen. Gestaltungsmissbrauch liegt nicht vor, wenn der Stpfl. – auch gezielt – entstandene wirtschaftliche Verluste durch gezielte Veräußerung der Anteile – auch an nahe Angehörige – realisiert, auch in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Absicht offenkundig ist, Verluste zu generieren.
(b) Das für einen bestimmten Anteil gezahlte Aufgeld aus einer Überpari-Emission war nach bisherigem Recht ausschließlich dem Anteil zuzurechnen, für dessen Entstehung das Agio gezahlt worden ist. Die Verteilung auf sämtliche Anteile nach § 17 Abs. 2a EStG idF des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften ist erst auf Veräußerungen anzuwenden, die nach dem 31.7.2019 stattfinden. Die Regelung hat nicht nur – so aber die Gesetzesbegründung – klarstellenden Charakter, sondern ist konstitutiv. [kk]
[3] Ob die teilentgeltliche Übertragung von Einzelwirtschaftsgütern mit stillen Reserven zur zwingenden Gewinnrealisierung unter Anwendung der strengen Trennungstheorie führt, ist umstritten und höchstrichterlich nicht abschließend geklärt. Die FinVerw. wendet die strikte Trennungstheorie entsprechend dem BMF-Schr. v. 8.12.2011, BStBl. 2011 I, 1279, an und hat angewiesen, ruhende Rechtsbehelfe idS wieder aufzunehmen, weil derzeit kein Verfahren vor dem BFH anhängig sei, Vfg. des LfSt. Niedersachsen v. 24.5.2023, DStR 2023, 1781.
Anm.: Die Verwaltungsanweisung hat die Anwendung der strengen Trennungstheorie im Blick, soweit es um Anwendungsfälle des § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG geht und Entgelte gezahlt werden, die nicht in der Gewährung von Gesellschaftsrechten bestehen. [kk]
[4] Tatsächlich entstandene Aufwendungen für die Benutzung eines privaten Fahrrads für Dienstfahrten sind in der nachgewiesenen Höhe (repräsentative Nachweise für ein Jahr reichen bis zur Änderung der Verhältnisse für Folgejahre aus) als Werbungskosten absetzbar. Pauschalen sind derzeit nicht vorgesehen, Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin v. 24.7.2023, BT-Drucks. 20/7889. [kk]
[5] Es war streitig, ob der Stpfl. für Zinserträge aus Gesellschafterdarlehen an eine niederländische Kapitalgesellschaft, an der er über eine andere niederländische Kapitalgesellschaft mittelbar beherrschend beteiligt war, nach der im Jahr 2011 geltenden Rechtslage vom Abgeltungsteuersatz nach § 32d EStG ausgeschlossen war. Der BFH hat die Tarifvergünstigung auf die Zinsen mit (einstimmig gem. § 126a FGO ergangenem) Beschl. VIII R 15/21 v. 27.6.2023 versagt. Zwar reiche eine mindestens 10 %ige mittelbare Beteiligung nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b Satz 1 EStG für den Ausschluss der Abgeltungsbesteuerung nicht aus, jedoch bestimme § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b Satz 2 EStG, der Ausschluss des Abgeltungsteuersatzes gelte auch, wenn der Gläubiger der Kapitalerträge eine dem Anteilseigner nahestehende Person sei. Diese Voraussetzung sah der BFH im Streitfall erfüllt. Nach der Rechtslage im Streitjahr 2011 sei insoweit noch nicht Voraussetzung für den Ausschluss der Abgeltungsbesteuerung gewesen, dass die Zinsen beim Schuldner als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abgesetzt worden sind. Diese zusätzliche Voraussetzung für die Versagung der Tarifvergünstigung sei erst durch das JStG 2020 eingeführt worden und gelte nicht rückwirkend, obwohl diese Voraussetzung für eine Anwendung des § 32d Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. a EStG bereits durch das JStG 2010 eingeführt worden ist. [kk]
[6] Mit der hA im Fachschrifttum und gegen die Verwaltungsauffassung liegt eine den Betriebsausgabenabzug einschränkende unwesentliche Ertragsteuerbelastung eines ausländischen Geschäftspartners iS des § 16 Abs. 1 AStG erst dann vor, wenn die Ertragsteuerbelastung unterhalb von 10 % liegt und nicht (wie die FinVerw. im AEAStG unter Tz. 16.1.2 meint, auch im Entwurf für die Neufassung des AStG-Anwendungserlasses unter Ziff. 16.1.8) unter 25 %, Urt. des FG Münster 9 K 147/20 K, G v. 8.3.2023, EFG 2023, 1059 (vorl. nrkr.).
Anm.: Es geht im Streitfall um die Abzugsfähigkeit einer Einkaufsprovision für Maschineneinkäufe in China, die an eine Gesellschaft in Hongkong bar in Deutschland bezahlt wurde. Neben § 16 Abs. 1 AStG war ein weiterer Streitpunkt, ob das FA mit Recht ein Benennungsverlangen nach § 160 Abs. 1 AO gestellt hat und dieses – was das FG angenommen hat – hinreichend erfüllt worden ist. [kk]
[7] Der BFH hat mit Urt. V R 22/21 v. 11.5.2023 die Entscheidung des XI. Senats (Urt. XI R 18/21 v. 29.11.2022) bestätigt, der zufolge entgegen Abschn. 2.5 Abs. 17 Sätze 2 bis 4 UStAE die Zahlung eines sog. KWK-Zuschlags für nicht eingespeisten, sondern dezentral verbrauchten Strom gem. § 4 Abs. 3a KWKG 2009 nicht zu einer Lieferung iS des § 3 Abs. 1 UStG führt. Der von einem Anlagebetreiber erzeugte und dezentral verbrauchte Strom wird weder an den Stromnetzbetreiber geliefert noch an den Anlagenbetreiber zurückgeliefert.
Anm.: Gleichwohl führte die durch das FA eingelegte Revision zur Zurückverweisung der Sache. Geklärt werden muss, ob – wie vom FG angenommen – zwischen der Klägerin und einer 100 %igen Tochter-GmbH eine umsatzsteuerliche Organschaft bestand und, wenn das der Fall war, Innenumsätze im Organkreis (entgegen der bisher hA) umsatzsteuerbar sind, was Gegenstand der unter Az. C-184/23 anhängigen Vorlage des V. Senats des BFH an den EuGH ist (Vorlagebeschl. V R 20/22 [V R 40/19], DStR 2023, 632, s. kösdi 2023, 23173, Report Nr. 175). – Die Klägerin ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts, die wegen der Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens als gemeinnützig anerkannt ist. Sie hatte auf ihrem Gelände ein eigenes Stromnetz (sog. Kundenanlage), das wiederum mit dem Stromnetz des Stromnetzbetreibers verbunden war. Sie schloss mit der Tochtergesellschaft eine Vereinbarung über die Übertragung des Energiemanagements und einen Energielieferungsvertrag, wonach die Tochter-GmbH die ausschließliche Energieversorgung der Klägerin übernahm (das betraf die umfassende Versorgung der Klägerin mit Strom, Fernwärme sowie Gas durch Zukäufe bzw. Betrieb des Blockheizkraftwerks). Die GmbH berechnete die Energielieferungen an die Klägerin zu Selbstkosten zzgl. Gewinnmarge. [kk]
[8] Mit einem 20 Seiten umfassenden Erlass v. 15.8.2023 (Az. IV C 6 – S 2145/19/10006 :027) hat das BMF zur ertragsteuerlichen Behandlung der betrieblichen und beruflichen Betätigungen in der häuslichen Wohnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b und Nr. 6c sowie § 9 Abs. 5 Satz 1 und § 10 Abs. 1 Nr. 7 Satz 4 UStG Stellung genommen. Dargestellt wird die Rechtslage nach den Gesetzesänderungen durch das JStG 2022. Die Neuregelung und damit auch die Verwaltungsanweisung ist für nach dem 31.12.2022 in der häuslichen Wohnung ausgeübte Tätigkeiten anzuwenden. Für die Vergangenheit gilt das BMF v. 6.10.2017, BStBl. 2017 I, 1320, weiter. Erläutert wird der Betriebsausgaben- bzw. Werbungskostenabzug für häusliche Arbeitszimmer sowie der Tagespauschale für Homeoffice-Tätigkeiten. Wir werden auf die Verwaltungsanweisungen in Kürze in kösdi Report zurückkommen. [kk]