[1] Wir hatten darüber berichtet, dass der Deutsche Bundestag das JStG 2022 in der Fassung der Beschlussempfehlungen des Finanzausschusses beschlossen hat, und waren davon ausgegangen, dass die Zustimmung des Bundesrates nur noch Formsache sei, zumal es inzwischen als TOP 10 in der Tagesordnung für die Sitzung des Bundesrates am 16.12.2022 aufgenommen worden ist (BR-Drucks. 627/22 [neu] v. 2.12.2022). In einer Pressemitteilung v. 5.12.2022 hat das Hessische Finanzministerium jedoch wissen lassen, dass das Land nicht zustimmen werde und andere Bundesländer dafür gewinnen wolle, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Es geht offenbar um die überaus bürokratische Regelung zur Sicherstellung der Besteuerung der Energiekostenhilfen. [kk]
[2] Grundsatzentscheidung des BFH zur Rückstellungsbildung für Verpflichtungen aus einem Kundenbindungsprogramm: Gewährt ein Handelsunternehmen an seinem Kundenkartenprogramm teilnehmenden Kunden auf deren Warenkäufe Bonuspunkte bzw. Gutscheine, die die Karteninhaber innerhalb des Gültigkeitszeitraums bei zeitlich nachfolgenden Warenkäufen als Zahlungsmittel einsetzen können, ist für die am Bilanzstichtag noch nicht eingelösten Bonuspunkte bzw. Gutscheine eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden, wenn überwiegend wahrscheinlich ist, dass die Kunden die Bonuspunkte bzw. Gutscheine einlösen, sie also als Zahlungsmittel nutzen. Es handelt sich weder um dem Passivierungsverbot unterliegende Verluste aus schwebenden Geschäften noch um Verpflichtungen, die nur aus künftigen Gewinnen, Umsätzen und Vermögen zu begleichen und deshalb nach § 5 Abs. 2a EStG in der Steuerbilanz nicht passivierungsfähig sind, Urt. IV R 20/19 v. 29.9.2022.
Anm.: Im Streitfall hat der BFH die begehrte Zuführung zur Rückstellung in Höhe von rd. 1,6 Mio. € anerkannt, weil durch das Kundenkartensystem eine vor dem Bilanzstichtag wirtschaftlich entstandene Verpflichtung begründet worden ist. Dem stand nicht entgegen, dass eine Verrechnung der gutgeschriebenen Bonuspunkte erst im Zuge künftiger Warenkäufe der Kunden erfolgt ist. Der BFH hat den Unterschied der Konstellation im Streitfall gegenüber dem „Friseurgutschein“-Fall herausgearbeitet, in dem es darum ging, dass als Weihnachtsgeschenk ein Rabatt für einen künftigen Friseurbesuch gewährt worden ist. Entscheidend ist, dass die Bonuspunkte und Gutscheine an die Kunden ein Zahlungsmittel waren (wenngleich sie nicht in bar ausgezahlt wurden). [kk]
[3] Der gesetzliche nicht definierte Begriff der Schuldzinsen iS des § 4 Abs. 4a EStG ist – wie der Schuldzinsenbegriff im Steuerrecht allgemein – einheitlich und weit auszulegen. Schuldzinsen sind danach alle Leistungen, die ein Schuldner für die Überlassung (Nutzung) von Kapital an den Gläubiger zu erbringen hat, und darüber hinaus alle Aufwendungen zur Erlangung oder Sicherung eines Kredits mit den Kosten, die bei wirtschaftlicher Betrachtung des Vorgangs als Vergütung für die Überlassung von Kapital angesehen werden können. Davon ausgehend, hat der BFH entschieden, dass Provisionen und Gebühren für ein Aval (eine Bürgschaft) jedenfalls dann Schuldzinsen sind, wenn hierdurch die Rückzahlung von Fremdkapital, das dem Schuldner zeitweise zur Nutzung überlassen wurde, gesichert wird, BFH-Urt. X R 15/21 v. 31.8.2022.
Anm.: Im Streitfall hat der BFH die Sache allerdings zurückverwiesen, nachdem das FG Avalprovisionen als Schuldzinsen iS von § 4 Abs. 4a EStG beurteilt hatte, weil die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht erkennen ließen, ob der Kläger tatsächlich Schulden hatte, für die Schuldzinsen in Gestalt von Avalprovisionen anfallen konnten. Der Kläger war Tankstellenpächter eines Mineralölunternehmens und veräußerte die Treibstoffe in dessen Namen und für dessen Rechnung. Das Mineralölunternehmen verlangte zur Sicherung aller Forderungen aus der Geschäftsverbindung und der Bereitstellung des Agenturbestands eine Bankbürgschaft, für die Avalprovisionen anfielen. Im zweiten Rechtsgang hat das FG zu prüfen, ob der Kläger gegenüber dem Mineralölunternehmen (als Tankstellenverpächter) Schulden hatte und die an die Bank gezahlte Avalprovision dafür Schuldzinsen sein konnten. Für bedeutsam hält es der BFH, ob der Kläger nach den vertraglichen Vereinbarungen berechtigt war, über die für Rechnung des Mineralölunternehmens vereinnahmten Erlöse aus dem Agenturgeschäft bis zu deren Abführung für eigene Zwecke zu verfügen. Sollte dies nicht der Fall sein, sind die Avalprovisionen keine Schuldzinsen iS des § 4 Abs. 4a EStG. [kk]
[4] Werden im Rahmen einer Betriebsaufgabe Wirtschaftsgüter gegen wiederkehrende Bezüge veräußert, steht dem Veräußerer – wie einem Betriebsveräußerer – das Wahlrecht zwischen Sofortversteuerung nach §§ 16, 34 EStG und der nicht tarifbegünstigten Zuflussbesteuerung zu.
Dies hat der BFH erstmals mit Urt. X R 6/20 v. 29.6.2022 entschieden.
Anm.: Die Klägerin stellte ihren Betrieb krankheitsbedingt ein und veräußerte einen Großteil der Wirtschaftsgüter an eine GmbH gegen Zahlung einer lebenslangen monatlichen Rente von 3.000 €. Von der Veräußerung ausgenommen war ein zum Betriebsvermögen gehörender Grundstücksteil nebst Betriebsvorrichtungen. Einige weitere Wirtschaftsgüter wurden einzeln veräußert, abgewickelt bzw. in das steuerliche Privatvermögen überführt. Der Buchwert des Betriebsvermögens war geringfügig höher als die dafür realisierten Erlöse bzw. mit dem gemeinen Wert anzusetzenden Entnahmewerte. Der dadurch entstehende Buchwertüberhang war bis zu dessen Verbrauch mit den wiederkehrenden Bezügen zu verrechnen, für den die Klägerin mit Erfolg die Zuflussbesteuerung beantragte (die Buchwerte des insgesamt vorhandenen Betriebsvermögens waren nicht nach der sog. Trennungstheorie aufzuteilen). Offengelassen hat der BFH, weil dieses sich wegen der verfahrensrechtlichen Gegebenheiten für den Stpfl. nicht auswirken konnte, ob die zufließenden wiederkehrenden Bezüge in einen Tilgungs- und Zinsanteil aufzuteilen sind, wie es die Rspr. in der Vergangenheit angenommen hat. [kk]
[5] Die auf einem entgeltlichen Rechtsverhältnis beruhende Nutzungs-überlassung einer Wohnung an den geschiedenen oder dauerhaft getrennt lebenden Ehegatten fällt nicht unter den Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG. Dagegen handelt es sich bei einer unentgeltlichen Nutzungsüberlassung um einen Naturalunterhalt, der in sinngemäßer Anwendung von § 15 Abs. 2 BewG in Höhe der ortsüblichen Miete als Sonderausgabe nach § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG absetzbar ist. Zu bewerten ist die Nutzungsüberlassung auch dann mit der ortsüblichen Miete, wenn die Parteien unterhaltsrechtlich einen betragsmäßig geringeren Wohnvorteil vereinbart hatten, Urt. des BFH X R 33/20 v. 29.6.2022.
Anm.: Die Sache wurde zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen. Der BFH hat zwar die ortsübliche Miete als Sachunterhalt anerkannt, jedoch muss deren Höhe noch geklärt werden. Im Streitfall hatte der unterhaltsverpflichtete Kläger im Rahmen des Trennungsunterhalts die gemeinsame Wohnung, die sich in einem jeweils hälftig im Miteigentum der Ehegatten stehenden Grundstück befand, der Ehefrau und den beiden Kindern zu überlassen. – Möglicherweise kommt eine Kürzung des Sachunterhalts wegen der Mitbenutzung der Wohnung durch die Kinder in Betracht. – Im Streitfall war bereits für das Streitjahr ein Sonderausgabenabzug anerkannt worden, jedoch begehrte der Kläger den Abzug eines höheren Betrags. Der BFH hat entschieden, dass etwaig eine Änderung der bestandskräftigen Steuerfestsetzungen nach § 175 AO erfolgen kann, weil die ursprünglich gegebene Zustimmung der Ehefrau zum Realsplittung im Rahmen der endgültigen Scheidungs- und Unterhaltsvereinbarung erweitert worden ist. [kk]
[6] Die lediglich betragsmäßige Erweiterung des Klagebegehrens ist bei der Klage gegen einen Gewinnfeststellungsbescheid keine Klageänderung iS des § 67 FGO, die nur innerhalb der Klagefrist zulässig ist, sondern eine grundsätzlich zulässige Klageerweiterung, Urt. des BFH IV R 20/19 v. 29.9.2022.
Anm.: Im Streitfall hatte die Klägerin zunächst in der Klageschrift den Antrag angekündigt, der auf die Herabsetzung des Gesamthandsgewinns um 412.148,45 € durch Zuführung zu einer Rückstellung für zugesagte Bonuspunkte an Kunden gerichtet war. Im Verlaufe des Klageverfahrens bewertete die Klägerin die Rückstellung mit 1.607.212 €, was eine zulässige Erweiterung des Klagebegehrens war. Die Entscheidung zeigt, dass es sinnvoll ist, bei Einlegung der Klage nur den voraussichtlichen Antrag anzukündigen, um den Spielraum für eine etwaige Erweiterung offenzuhalten. [kk]