Durchsuchung aufgrund einer anonymen Anzeige über ein Hinweisgebersystem
Das LG Nürnberg-Fürth hat sich mit Beschluss vom 14.2.2024 (Az. Qs 49/23) zu den Anforderungen an eine Durchsuchung gem. § 102 StPO bei vorangegangener anonymer Anzeige über ein sog. Hinweisgebersystem geäußert.
Sachverhalt:
Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg – Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen (ZKG) – führt gegen die Beschwerdeführerin und Beschuldigte ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Betrugs und Beihilfe zum Betrug.
Die Ermittlungsbehörde wurde zuvor durch einen anonymen Hinweis auf den Fall aufmerksam gemacht. Die ZKG nutzt ein zentrales anonymes Hinweisgebersystem im Sinne des Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG). Das von der ZKG verwendete Hinweisgebersystem bietet die Möglichkeit – unter vollständiger Wahrung der Anonymität – Hinweise über konkrete Vermögensstraftaten zu Lasten des Gesundheitswesens in Bayern zu stellen. Die Kommunikation erfolgt über einen sog. Postkasten, welcher der Ermittlungsbehörde die Möglichkeit einräumt Nachfragen zu stellen und ferner die Möglichkeit zum Austausch weiterer Unterlagen bietet.
Auf Grundlage der anonymen Anzeige hatte die Staatsanwaltschaft weitere Ermittlungen aufgenommen und erwirkte sodann Durchsuchungsbeschlüsse. Die Beschuldigte legte gegen die Durchsuchungsbeschlüsse Beschwerden ein und stellte gleichzeitig hinsichtlich einer Beschlagnahme Antrag auf gerichtliche Entscheidung.
Entscheidungsgründe:
Das LG Nürnberg-Fürth sah die Beschwerden als unbegründet an. Die für eine Durchsuchung nach § 102 StPO erforderliche Verdachtslage kann sich auch aus einer anonymen Anzeige ergeben.
Anonyme Hinweise können zwar einen strafrechtlichen Anfangsverdacht begründen, Nr. 8 RiStBV. Als Grundlage für eine Durchsuchung kann ein anonymer Hinweis jedoch nur dann genügen, wenn die Aussage von beträchtlicher sachlicher Qualität ist oder mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt worden ist. Bei anonymen Anzeigen müssen die Eingriffsvoraussetzungen des § 102 StPO im Hinblick auf die schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten wegen der erhöhten Gefahr und des nur schwer bewertbaren Risikos einer falschen Verdächtigung besonders sorgfältig geprüft werden. Bei der Prüfung des Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeitsabwägung sind insbesondere der Gehalt der anonymen Aussage sowie etwaige Gründe für die Nichtoffenlegung der Identität der Auskunftsperson in den Blick zu nehmen.
Das Gericht kam zu der Einschätzung, dass die Ermittlungsbehörden den gesteigerten Prüfungsanforderungen nachgekommen sind: Die Behauptungen des Hinweisgebers wurden durch Nachfragen über den Postkasten auf Glaubhaftigkeit überprüft. Die Behörden haben auf Basis des Hinweises weitere Ermittlungen angestellt. Der anonyme Hinweis war für sich genommen sehr detailliert und von „außerordentlicher sachlicher Qualität.“ Auf Nachfragen reagierte der anonyme Hinweisgeber zuverlässig. Ferner konnten sogar schriftliche Beweismittel übermittelt werden.
Steuerstrafrechtliche Einordnung:
Im Steuerstrafverfahren gibt es mehrere Möglichkeiten, wie die Ermittlungsbehörden von steuerstrafrechtlich relevanten Sachverhalten Kenntnis erlangen können. In Zukunft wird vermehrt mit anonymen Hinweisen zu rechnen sein. So verpflichtet das HinSchG seit Juli 2023 private und öffentliche Stellen zur Einrichtung von sog. internen Meldestellen. Beschäftige sollen so die Möglichkeit haben sog. „Verstöße“ im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit zu melden. Da der Beschäftigungsgeber verpflichtet ist diesen Meldungen nachzugehen, ist zu erwarten, dass die (anonym) eingereichten Hinweise Anlass zahlreicher strafrechtlicher Ermittlungsverfahren werden.
Die obige Entscheidung des LG Nürnberg-Fürth zeigt, dass bei anonymen Anzeigen eine strengere Handhabung der Prüfung des Tatverdachts notwendig ist. Vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen sind nicht ausreichend. Eine sog. „Ausforschungsdurchsuchung“ ist unzulässig. Die Durchsuchung darf nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind. Mithin ist in jedem Einzelfall auf Grundlage der Begründung des Durchsuchungsbeschlusses zu prüfen, ob die Durchsuchung (allein) auf Grundlage einer anonymen Anzeige zulässig war.
Aus Sicht der Verteidigung bietet sich an, in derartigen Fällen, Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung einzulegen. Erfolgte der Hinweis über ein Hinweisgebersystem sollten der Umgang des Hinweisempfängers mit der jeweiligen Information, die Ausgestaltung der Meldestelle an sich sowie die Qualität der Aussage sorgfältig geprüft werden.