Lieferungen im Kreis in einem Umsatzsteuerbetrugssystem und Verantwortlichkeit des faktischen Geschäftsführers nach § 35 AO
Der BGH hat sich mit Urteil 1 StR 374/22 v. 27.6.2023 mit Fragen der Scheinlieferungen von Edelmetall in einem Umsatzsteuerbetrugssystem auseinandergesetzt und sich dahingehend geäußert, dass wer in einem solchen System nach § 35 AO verantwortlich für die Abgabe von Umsatzsteueranmeldungen ist und bei Unterlassung der Abgabe derselben, den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO verwirklicht.
Sachverhalt:
Der Angeklagte verschaffte, zusammen mit S, dem R als dem Verantwortlichen der E-GmbH sowie mit der von ihm eingesetzten Geschäftsführerin der von ihm gegründeten und gesteuerten G und einer weiteren Person, der E-GmbH durch den Scheinhandel mit Platinmünzen ungerechtfertigte Vorsteuerüberhänge. Alle Beteiligten waren vollständig über das gesamte Hinterziehungssystem informiert. Dieses lief wie folgt ab:
S – erst als Einzelunternehmer, später über die W-GmbH – erstellte Scheinrechnungen mit ausgewiesener Umsatzsteuer in Höhe von 19 % an die E-GmbH, dessen Inhalt der Angeklagte ihm vorgab. Die E-GmbH machte dann – zu Unrecht – die Vorsteuer aus diesen Rechnungen in Höhe von über 10.345.014,89 EUR geltend. Die „Weiterveräußerung“ der Platinmünzen an die G behandelte die E-GmbH als innergemeinschaftliche, umsatzsteuerbefreite Lieferung. Die E-GmbH, vertreten durch R, stellte gleichzeitig Gegenrechnungen an die Unternehmen des S in vergleichbarer Rechnungshöhe über die angebliche Lieferung von Gold, und zwar nach § 25c Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 UStG ohne den Ausweis von Umsatzsteuer. Für die E-GmbH ergab sich damit ein Vorsteuerüberhang.
Tatsächlich lieferte die G auf Geheiß des Angeklagten die Platinmünzen im Kreislauf (zurück) an die E-GmbH. Im Gegenzug übernahmen die vom Angeklagten entsandten und zur Bande gehörenden Kuriere der G das Gold. Die G veräußerte sodann das Gold weiter. Der S gab – auf Anweisung des Angeklagten – für seine Unternehmen keine Steuererklärungen ab. Der Angeklagte unterließ dies ebenfalls.
Aus dem Umsatzsteuerbetrugssystem erzielte der Angeklagte einen Gewinn in Höhe von 320.000 EUR. Für die Beteiligung an dem System vereinnahmten die übrigen Beteiligten monatlich zumindest 2.000 EUR. Das Strafverfahren wegen der Erschleichung der unberechtigten Vorsteuervergütungen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) durch die E-GmbH wurde nach § 154 StPO eingestellt.
Das Landgericht stellte fest, dass der Angeklagte sich wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen wegen der Nichtabgabe der Umsatzsteuererklärungen für das Einzelunternehmen S und die W-GmbH strafbar gemacht hat und verurteilte ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten. Zudem wurde gegen den Angeklagten (als Gesamtschuldner) die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe der verkürzten Umsatzsteuer (10.345.014,89 EUR) angeordnet.
Der BGH entschied, dass die Revision des Angeklagten nur mit Blick auf die Einziehungsentscheidung der Vorinstanz überwiegend begründet ist.
Entscheidungsgründe:
Die Revision gegen die vorinstanzliche Verurteilung des Angeklagten wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) zugunsten des Einzelunternehmens des S und der W-GmbH hatte keinen Erfolg. Die Unternehmen waren als „Strohfirmen“ Schuldner der Umsatzsteuer aus den Scheinrechnungen nach §§ 13a Abs. 1 Nr. 4 UStG i.V.m. § 14c Abs. 2 UStG und damit verpflichtet Steuererklärungen abzugeben. Die Scheinlieferungen von S und der W-GmbH an die E-GmbH waren nach § 41 Abs. 2 Satz 1 AO unbeachtliche Scheinlieferungen, da die Beteiligten den entgeltlichen Erwerb der Platinmünzen nicht zur eigenen Verfügungsgewalt wollten.
Verantwortlich dafür, die Umsatzsteuererklärungen für die „Strohfirmen“ abzugeben, war nach Ansicht des BGH der Angeklagte als „faktischer Geschäftsführer“ gem. § 35 AO, sodass er diesbezüglich den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO verwirklicht hat. Der BGH führt dazu aus, dass aus dem gemeinsamen Tatplan, in den alle Beteiligten eingeweiht waren und dem Umstand, dass der Angeklagte den S anwies, keine Steuererklärungen abzugeben, der Angeklagte faktisch die Verantwortung für die Abgabe der Steuererklärungen hatte.
Der BGH hob lediglich die strafrechtliche Einziehungsentscheidung der Vorinstanz im Großteil auf. Nur der tatsächlich vereinnahmte Tatlohn i.H.v. 320.000 EUR unterliegt nach Auffassung des BGH der Einziehung nach § 73 Abs. 1 Alt. 2, 73c Satz 1 StGB. Hingegen könne für die nach § 14c Abs. 2 UStG geschuldete Steuer keine Einziehung erfolgen. Nach der stetigen Rechtsprechung des BGH mangelt es in diesen Fällen an einem abschöpfbaren Vermögensvorteil in der Form von Steuerersparnissen. Auch eine Einziehung in Höhe des Werts des Goldes, über das der Angeklagte Verfügungsgewalt hatte, kommt nach Auffassung des BGH nicht in Betracht, da dies im Zusammenhang mit der Erschleichung der unberechtigten Vorsteuervergütungen durch die E-GmbH stehe und das diesbezügliche Strafverfahren bereits nach § 154 StPO eingestellt worden ist.
Steuerstrafrechtliche Einordnung:
Neben demjenigen, der zu Unrecht die Vorsteueranmeldung für Scheinlieferungen abgibt, begibt sich auch der Ersteller dieser Scheinrechnungen in die Gefahr einer steuerstrafrechtlichen Verfolgung durch die Ermittlungsbehörden. Die vorliegende Entscheidung zeigt darüber hinaus, dass auch Personen, die weder Gesellschafter noch Geschäftsführer einer Gesellschaft sind, sich als „faktischer Geschäftsführer“ wegen der Vorschrift des § 35 AO nicht der Verantwortung entziehen können. Durch die Anweisungen des Angeklagten als Hintermann im Zusammenhang mit einem gemeinsamen Tatplan aller Beteiligten, war im Fall des BGH von einer ausreichenden Verfügungsbefugnis i.S. von § 35 AO auszugehen.
Mit Blick auf die neuere, mittlerweile aber etablierte Rechtsprechung des BGH zu der Einziehung von nach § 14c Abs. 2 UStG entstehenden Steuern ist die Revisionsentscheidung wenig überraschend. In Fällen, in denen es zu keiner Lieferung oder sonstigen Leistung kommt, in der Rechnung aber dennoch Umsatzsteuer ausgewiesen wird, spiegelt sich kein messbarer wirtschaftlicher Vorteil im Vermögen des Täters wieder, der von der Vermögensabschöpfung umfasst sein kann. Hinsichtlich der Einziehung des Werts des Goldes, die der BGH mit Blick auf die diesbezügliche Verfahrenseinstellung nach § 154 StPO verneint hat, könnte das letzte Wort noch nicht gesprochen sein. Nach § 76a Abs. 3 StGB kann es diesbezüglich noch zu einem selbstständigen Einziehungsverfahren kommen.