Erbschaftsteuerliche Begünstigung für im Drittland belegene Grundstücke des Privatvermögens verstößt gegen Europarecht – EuGH C-670/21 v. 12.10.2023
Der EuGH hatte die Frage zu beantworten, ob es mit der Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar ist, dass der Erwerb eines bebauten und vermieteten Grundstücks des Privatvermögens, welches in einem Drittstaat belegen ist, von der Gewährung der Steuerbefreiung nach § 13c Abs. 3 i.V.m. § 13c Abs. 1 ErbStG a.F. (heute: § 13d ErbStG) ausgeschlossen wird. Nachdem der Generalanwalt Collins in seinen Schlussanträgen vom 9.2.2023 keinen Verstoß gegen europarechtliche Vorgaben erkannte, entschied der EuGH nun, dass eine solche Beschränkung der Steuerbefreiung europarechtswidrig ist.
Sachverhalt:
Im Jahr 2016 vermachte ein Vater seinem Sohn seinen hälftigen Anteil an Grundvermögen in Kanada. Beide hatten ihren Wohnsitz in Deutschland. Die entsprechenden Grundstücke sind zu Wohnzwecken vermietet und nicht Teil eines Betriebsvermögens. Das Finanzamt setzte auf das Vermächtnis Erbschaftsteuer fest, setzte aber die Grundstücke in Kanada mit ihrem vollen Wert an. Demgegenüber war der Sohn der Ansicht, die Grundstücke in Kanada seien gemäß § 13c Abs. 1 ErbStG a.F. mit 90 % ihres Wertes anzusetzen und die Erbschaftsteuer entsprechend herabzusetzen. Begründet wurde dies mit der Europarechtswidrigkeit des § 13c Abs. 3 Nr. 2 ErbStG. Das FG Köln setze sodann das Verfahren aus und bat den EuGH um Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV.
Entscheidungsgründe:
Der EuGH beantwortet die Vorlagefrage des FG Köln dahingehend, dass die Beschränkung der Steuerbefreiung auf nur im Inland oder in einem EU/EWR-Staat belegene und zu Wohnzwecken vermiete Grundstücke, nicht mit der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 AEUV vereinbar ist.
Aus den Entscheidungsgründen geht hervor, dass die Verfahrensbeteiligten allesamt unzweifelhaft von der Eröffnung des Schutzbereichs und dem Vorliegen einer Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit ausgingen. Der EuGH bejaht dies ohne größere Probleme. Die streitige Frage in dem Verfahren spielte sich auf der Rechtfertigungsebene ab.
Eine Rechtfertigung der Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit kommt nach Art. 65 AEUV nur in Betracht, wenn Situationen betroffen sind, die objektiv nicht miteinander vergleichbar sind oder wenn zwingende Gründe des Allgemeininteresses einer Gleichbehandlung entgegenstehen. Nach Ansicht des EuGH – und entgegen der Auffassung des Generalanwalts – kann die Beschränkung des Kapitalverkehrs nicht nach Art. 65 AEUV gerechtfertigt werden.
Die Vergleichbarkeit der Situationen begründet der EuGH damit, dass bei der Berechnung der Erbschaftsteuer unmittelbar der gemeine Wert der zum Nachlass zählenden Grundstücke zugrunde gelegt wird, so dass objektiv keine Unterschiede für die steuerliche Ungleichbehandlung in Bezug auf die Ermittlung der Höhe der Erbschaftsteuer je nach dem Belegenheitsort bestehen. Eine fehlende Vergleichbarkeit könne nicht allein damit begründet werden, dass das Grundstück in einem Drittstaat liegt, ansonsten würden die Gewährleistungen des Art. 63 AEUV ausgehöhlt werden.
Die Bundesregierung hatte in dem Verfahren vor dem EuGH darüber hinaus als zwingende Gründe des Allgemeininteresses, die die Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit rechtfertigen können, die soziale Wohnungspolitik und die Notwendigkeit einer wirksamen Steueraufsicht angeführt, die nach der Rechtsprechung des EuGH an sich geeignete Rechtfertigungsgründe sein können.
Im Streitfall stellt der EuGH jedoch fest, dass die Steuerbefreiung in § 13c Abs. 1, 3 ErbStG a.F. nicht geeignet sein dürfte, die Erreichung des Ziels einer sozialen Wohnungspolitik in kohärenter und systematischer Weise zu gewährleisten. Denn § 13c ErbStG gilt unterschiedslos für alle Grundstücke, unabhängig davon, ob tatsächlich eine besonders große Wohnungsnot in bestimmten Lagen besteht.
Auch den Grund, die Wirksamkeit der Steueraufsicht zu gewährleisten, erachtete der EuGH nicht für einschlägig, da den deutschen Finanzbehörden nach Art. 26 Abs. 4 DBA Deutschland/Kanada umfassende Auskunftsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, um die Anwendbarkeit der Steuerbefreiung feststellen zu können.
Einordnung:
Der EuGH hatte noch über die alte Regelung in § 13c Abs. 1, 3 ErbStG a.F. zu entscheiden. Im Rahmen der Erbschafsteuerreform 2016 ist die Regelung – wortgleich – in den § 13d ErbStG gewandert. Die Entscheidung des EuGH ist damit auf die aktuelle Rechtslage übertragbar.
Der § 13d ErbStG sieht im Ergebnis eine Steuerbefreiung i.H.v. 10 % des gemeinen Wertes auf Grundstücke und Grundstücksteile vor, die zu Wohnzwecken vermietet werden. Infolge der Entscheidung des EuGH ist nun klar, dass als weitere Voraussetzung nicht mehr auf die Belegenheit des Grundstücks abgestellt werden kann. Der Gesetzgeber ist nunmehr gehalten, den § 13d Abs. 3 Nr. 2 ErbStG aus Klarstellungsgründen zu streichen. Die Grundsätze der EuGH-Entscheidung sind aber auch ohne Gesetzesänderung anzuwenden, so dass in den laufenden Einspruchs- und Gerichtsverfahren, die unter Hinweis auf das Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH ausgesetzt wurden, der § 13c ErbStG a.F. bzw. § 13d ErbStG n.F. unmittelbar auch für im Drittland belegene Grundstücke zur Anwendung kommt.
Mit Spannung abzuwarten sind auch die weitergehenden Folgen der Entscheidung des EuGH für begünstigende Regelungen im ErbStG, deren Anwendbarkeit sich auf EU-/EWR Staaten beschränkt. Zu nennen sind hier insbesondere die Regelungen zum Familienheim in § 13 Abs. 1 Nr. 4a bis 4c ErbStG sowie die Privilegierungen für das Betriebsvermögen in den §§ 13a ff., 28a ErbStG, v.a. von Personengesellschaftsanteilen (§ 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG), vgl. Baßler, ISR 2022, 49, 51. In diesen Bereichen eröffnet die besprochene EuGH-Entscheidung Argumentationspotenzial für eine mögliche Unionsrechtswidrigkeit, da das im Drittstaat belegene Vermögen im Ergebnis höher belastet wird.