Rechtsprechungsänderung: Der entgeltliche Erwerb eines Miterbenanteils führt nicht zu einem anteiligen Erwerb eines zur Erbmasse gehörenden Grundstücks
Der BFH hat in seiner Entscheidung vom 26.9.2023 (IX R 13/22) festgestellt, dass der entgeltliche Erwerb eines Anteils an der Erbengemeinschaft nicht zur anteiligen Anschaffung eines zum Gesamthandsvermögen der Erbengemeinschaft gehörenden Grundstücks führt.
Sachverhalt:
Der Kläger ist Erbe mit einem Erbenanteil von 52 % nach der Erblasserin. Zu seinen Lasten wurde Nacherbfolge angeordnet. Weitere Erben zu jeweils 24 % und zugleich Nacherben nach dem Kläger wurden die Kinder der Erblasserin. Zum Nachlass rechnete u.a. ein Grundstück. Der Kläger und die Kinder der Erblasserin wurden im Grundbuch des Grundstücks als Eigentümer in Erbengemeinschaft eingetragen.
Die Kinder der Erblasserin übertrugen das Nacherbenanwartschaftsrecht an dem Erbteil des Klägers mit allen Rechten und Pflichten an diesen und traten dieses Recht mit sofortiger dinglicher Wirkung ab. In der Folge übertrugen die Kinder der Erblasserin ihren Erbanteil an einen Dritten. Der Kläger übte sein gesetzliches Vorkaufsrecht aus und erwarb die beiden Erbanteile der Kinder. Zugleich wurde die Erbengemeinschaft auseinandergesetzt. Anschließend veräußerte der Kläger den aus dem Nachlass stammenden Grundbesitz.
Das Finanzamt sah in dem Erwerb der Erbanteile vom Dritten eine entgeltliche Anschaffung des Grundbesitzes in Höhe von 48 % durch den Kläger. Da zwischen dem Erwerb der Erbanteile und dem Verkauf des Grundbesitzes nicht mehr als zehn Jahre gelegen hätten, lägen sonstige Einkünfte aufgrund eines privaten Veräußerungsgeschäfts vor. Diese zusätzlichen Einkünfte setzte das Finanzamt mit geändertem Einkommensteuerbescheid fest.
Die dagegen erhobene Sprungklage vor dem FG München (1 K 2127/20 v. 21.7.2021) blieb ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe:
Der BFH sah die Revision als begründet an. Das FG hat zu Unrecht einen vom Kläger zu versteuernden Gewinn aus einem privaten Veräußerungsgeschäft nach § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG angenommen. Sinn und Zweck des § 23 EStG ist es, innerhalb der Veräußerungsfrist realisierte Wertänderungen eines bestimmten Wirtschaftsguts im Privatvermögen des Steuerpflichtigen der Einkommensteuer zu unterwerfen. Daraus ergibt sich das Erfordernis der Nämlichkeit von angeschafftem und innerhalb der Haltefristen veräußertem Wirtschaftsgut, wobei Nämlichkeit Identität im wirtschaftlichen Sinn bedeutet. Es muss daher danach abgegrenzt werden, ob und in welchem Umfang die Nämlichkeit gegeben ist oder ein anderes Wirtschaftsgut („aliud“) vorliegt.
In Bezug auf den entgeltlichen Erwerb eines Anteils an einer gesamthänderischen Beteiligung hat der BFH nun – entgegen der Auffassung des BMF, vgl. BMF-Schr. IV B 2 – S 2242 – 7/06 v. 14.3.2006, BStBl. 2006 I, 253, Rz. 43 – entschieden, dass dieser nicht zur anteiligen Anschaffung der Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens führt. Eine gesamthänderische Beteiligung kann einem Grundstück oder grundstücksgleichen Recht nicht gleichgestellt werden. Die Nämlichkeit zwischen angeschafftem Wirtschaftsgut (Erbanteil) und veräußertem Wirtschaftsgut (Grundstück) ist daher nicht gegeben. Auch die Vorschrift des § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO kommt für diese Fälle nicht zur Anwendung, da eine Zurechnung nach dieser Vorschrift nur vorzunehmen ist, wenn die Gesamthand selbst, die nicht Schuldnerin der Einkommensteuer ist, den Besteuerungstatbestand erfüllt.Wird der Anschaffungs- oder Veräußerungsvorgang hingegen nur von einzelnen Gesellschaftern/Gemeinschaftern erfüllt, ist eine Zurechnung nach Bruchteilen nicht erforderlich. Soweit der Senat mit Urteil IX R 5/02 vom 20.4.2004 (BStBl. 2004 II, 987) eine hiervon abweichende Auffassung vertreten hat, wird daran nicht länger festgehalten. Da die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut nur für Personengesellschaften gilt, ist eine Anwendung dieser Regelungen auf Erbengemeinschaften ausgeschlossen.
Anmerkung:
Die Entscheidung könnte erhebliche Auswirkung für die Gestaltungsberatung haben. In der Vergangenheit wurde in der Literatur darüber diskutiert, ob sich eine gemäß § 23 EStG steuerpflichtige entgeltliche Erbauseinandersetzung dadurch vermeiden lässt, indem ein Erbteil verkauft oder der Erbteil gegen Abfindung ausgeschlagen wird, vgl. etwa Tiedke/Wälzholz, ZEV 2002, 183. Mit der Entscheidung des BFH IX R 5/02 vom 20.4.2004 nahm der BFH dennoch einen steuerpflichtigen Vorgang nach § 23 EStG an und entzog derartigen Gestaltungsüberlegungen zunächst die Grundlage.
Die Gestaltungsmöglichkeit könnte durch die Besprechungsentscheidung, mit der der BFH von der Verwaltungsauffassung und seiner eigenen vorherigen Rechtsprechung abweicht, wiederaufleben. Es erscheint möglich, dass die Entscheidung auch über die Vorschrift des § 23 EStG hinaus für Anteile an Kapitalgesellschaften nach § 17 EStG oder einlagequalifizierte Anteile nach § 22 UmwStG gilt. Durch die Änderung der Rechtsprechung besteht die Option, durch den Kauf eines Erbanteils anstelle des Einzelwirtschaftsguts einen Veräußerungsvorgang zu vermeiden, vgl. RiBFH Trossen, DStR 2024, 24, der aber auf § 42 AO als äußerste Grenze hinweist.
Berater, die sich mit derartigen Überlegungen beschäftigen, sollten aber aufmerksam beobachten, wie die Finanzverwaltung und der Gesetzgeber mit der Abweichung von der Verwaltungsauffassung bzw. der Änderung der Rechtsprechung umgehen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Finanzverwaltung die Rechtsprechung nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anwenden möchte bzw. der Gesetzgeber durch eine Anpassung des § 23 EStG (ggf. auch des § 17 EStG und § 22 UmwStG) auf die Entscheidung reagiert. Entsprechende Risiken – zB ein Nichtanwendungsgesetz, mit dem die erfolgte Rechtsprechungsänderung rückwirkend beseitigt wird – sind dem Mandanten im Vorhinein zu erörtern.