Beweisverwertungsverbot bei einer von einer Außenprüferin im Rahmen der Prüfung des Fremdgeldkontos eines Rechtsanwalts ankündigungslos übersandten Kontrollmitteilung
Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat in einer Entscheidung vom 27.2.2023 (Az. 7 K 7160/21) entschieden, dass eine im Zusammenhang mit der Prüfung eines Fremdgeldkontos eines Rechtsanwaltes gefertigte Kontrollmitteilung bei dem Steuerpflichtigen nicht ausgewertet werden darf, wenn der Rechtsanwalt von der Fertigung der Kontrollmitteilung nicht informiert wurde.
Sachverhalt:
Im Streitfall ging es im Wesentlichen darum, ob das Finanzamt ihm vorliegendes Kontrollmaterial dazu nutzen durfte, gegenüber der Klägerin Umsatzsteuer festzusetzen. In dem Streitjahr gingen auf das Fremdgeldkonto der von der Klägerin beauftragten Rechtsanwälte Zahlungen wegen zuvor nicht beglichenen Rechnungen ein, die Umsatzsteuer auswiesen. Anschließend wurden die Zahlungen an den Geschäftsführer der Klägerin bar ausgezahlt.
In der Außenprüfung bei der Rechtsanwaltskanzlei fertigte die Außenprüferin Kontrollmitteilungen über die auf dem Fremdgeldkonto eingegangenen Rechnungssummen und leitete diese an das Finanzamt weiter. Da die Klägerin keine Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr eingereicht hatte, aus der die vorgenannten Umsätze hervorgingen, wertete das Finanzamt die Kontrollmitteilungen aus und setzte Umsatzsteuer im Wege der Schätzung fest.
Die Klägerin wandte sich gegen den Umsatzsteuerbescheid und begründete dies u.a. mit einem bestehenden Beweisverwertungsverbot, da die Steuerbehörde in der Rechtsanwaltskanzlei eine Prüfung des Fremdgeldkontos vorgenommen und dieses trotz der Verschwiegenheitspflicht der Rechtsanwälte zur Grundlage des Verfahrens genommen habe. Die Rechtsanwälte seien nicht darüber unterrichtet worden, dass die Absicht bestehe, Kontrollmitteilungen zu versenden.
Entscheidungsgründe:
Das Finanzgericht gab der Klage statt und folgte der Klägerin in ihrer Ansicht, dass ein Beweisverwertungsverbot bestehe. Die weitergeleiteten Kontrollmitteilungen durften nicht ausgewertet werden. Dem Finanzamt war es daher verwehrt, für das Streitjahr Umsatzsteuer festzusetzen, auch wenn die Klägerin materiell-rechtlich die Umsatzsteuer schuldet.
Dies begründet das FG im Wesentlichen damit, dass im Rahmen der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden konnte, dass die Prüferin der Rechtsanwaltskanzlei diese darüber informiert hat, dem Finanzamt die die Klägerin betreffenden Belege zu überlassen. Diese Ankündigung der Übersendung ist jedoch für die Außenprüfer verpflichtend (vgl. Nr. 7 AEAO zu § 194 AO). Ohne diese Ankündigung wurde es der Rechtsanwaltskanzlei verwehrt, gegen die Übersendung der Kontrollmitteilungen im Wege der vorbeugenden Unterlassungsklage vorzugehen, um zu verhindern, dass im Streitfall nach §§ 102, 104 AO geschützte Unterlagen für die ein Auskunftsverweigerungsrecht der Rechtsanwälte bestand, im Besteuerungsverfahren ausgewertet werden.
Das Beweisverwertungsverbot folgt nach Auffassung des FG aus dem Umstand, dass die im Verstoß gegen §§ 102, 104 AO ermittelten Tatsachen einen verfassungsrechtlich geschützten Bereich verletzen. Die Verweigerungsrechte nach §§ 102, 104 AO stehen im Zusammenhang mit der nach § 203 StGB sanktionierten Verschwiegenheitspflicht, die wiederum Ausdruck des grundrechtlich geschützten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG) ist. Außerdem ist bei den Rechtsanwälten das Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG betroffen. Dabei kann den Rechtsanwälten nicht vorgeworfen werden, dass sie der Prüferin ursprünglich nicht neutralisierte Belege vorgelegt haben. Denn eine umfassende Neutralisierung von Kanzleiunterlagen beeinträchtigt die Nachverfolgbarkeit von Geschäftsvorfällen über mehrere Veranlagungszeiträume und ist nach Auffassung des Gerichts praxisfern.
Der schwerwiegende Verfahrensverstoß gegen das Recht aus Art. 19 Abs. 4 GG hat außerdem Fernwirkung, so dass der Vortrag der Klägerin im Prozess über die Geschäftsvorfälle ebenfalls nicht verwertet werden durfte, um Umsatzsteuer festzusetzen. Andernfalls besteht die Gefahr der Aushöhlung des Beweisverwertungsverbots.
Im Ergebnis lagen daher – blendet man die übersandten Kontrollmitteilungen und den Vortrag der Klägerin im Prozess aus – nicht genügend Anhaltspunkte für eine Schätzung der Umsatzsteuer im Streitjahr vor. Der Steuerbescheid ist mithin rechtswidrig.
Steuerstrafrechtliche Einordnung:
Beachtenswert ist die Entscheidung, da Beweisverwertungsverbote im Besteuerungsverfahren eher die Ausnahme sind. Ein allgemeines gesetzliches Verwertungsverbot für Tatsachen, die unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ermittelt wurden, besteht im Besteuerungsverfahren nicht. Der Gesetzgeber hat die Entwicklung eines Verwertungsverbots ausdrücklich der Rechtsprechung überlassen, vgl. BT-Drs. 7/4292, S. 25. Die Frage nach einem Verwertungsverbot kann daher nur anhand des jeweiligen Verfahrensverstoßes beantwortet werden, vgl. etwa BFH-Urt. XI R 10, 11/01 v. 23.1.2002, BStBl. 2002 II, 328. Zu unterscheiden ist zwischen nur formellem und (qualifiziertem) materiell-rechtlichem Verwertungsverbot. Letzteres liegt vor, wenn die Ermittlung der Tatsachen einen verfassungsrechtlich geschützten Bereich des Steuerpflichtigen verletzen und führt zu einem umfassenden Verwertungsverbot – auch hinsichtlich der Fernwirkung von mittelbar erlangten Beweisergebnissen –, während bloß formelle Verfahrensverstöße vorher in der Regel eigenständig angegriffen werden müssen und es zu keiner Fernwirkung für auf andere Weise erlangte Beweismittel kommt, vgl. BFH-Urt. VIII R 53/04 v. 4.10.2006, BStBl. 2007 II, 227.
Verhältnis zu steuerstrafrechtlichen Beweisverwertungsverboten:
Bei der Beurteilung über das Vorliegen eines steuerrechtlichen Beweisverwertungsverbots kann nicht auf die für das Steuerstrafverfahren geltenden strafprozessualen Maßstäbe zurückgegriffen werden. Besteuerungsverfahren und Steuerstrafverfahren sind grundsätzlich unabhängig voneinander, vgl. § 393 AO. Für das jeweilige Verfahren ist daher nach eigenständigen Maßstäben das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbots zu prüfen, vgl. z.B. BFH-Beschl. VII B 265/00 v. 26.2.2001, BStBl. 2001 II, 464. In Fällen, in denen die Rechtswidrigkeit der Ermittlungsmaßnahmen des Finanzamts von einem Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit, also in einem besonderen dafür vorgesehen Verfahren, festgestellt wurde, kommt es aber zu einem steuerrechtlichen Beweisverwertungsverbot; auch hinsichtlich eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses, vgl. Rätke, in: Klein, AO, 16. Aufl. 2022, § 92 Rz. 9 m.w.N.