Enterbung durch vorweggenommene Erbfolge – Vorsicht bei der Gestaltung von Schenkungsverträgen
Bei der Gestaltung von notariell zu beurkundenden Schenkungsverträgen, durch die im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge Grundbesitz oder GmbH-Geschäftsanteile zu Lebzeiten übertragen werden sollen, ist genau auf die möglichen erbrechtlichen Folgen bestimmter Formulierungen zu achten. Dies zeigt sich – nicht zuletzt – an dem vom OLG Brandenburg am 31.8.2022 (Az. 3 W 55/22) entschiedenen Fall.
Sachverhalt:
Die im Jahre 2021 verstorbene Erblasserin übertrug im Jahr 1993 ein Grundstück auf eines ihrer Kinder. In dem „Überlassungsvertrag“ wurde vereinbart, dass „die Überlassung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unter Anrechnung auf den Pflichtteil des Erwerbers am künftigen Nachlass des Veräußerers erfolgt“. Die weiteren Kinder der Erblasserin haben gleichzeitig einen gegenständlich auf dieses Grundstück begrenzten Pflichtteilsverzicht erklärt.
Ein Testament hat die Erblasserin in der Folgezeit nicht errichtet. Das Nachlassgericht ging mithin von der gesetzlichen Erbfolge aus und kündigte die Erteilung des Erbscheins an alle Kinder der Erblasserin an. Gegen diesen Beschluss des Nachlassgerichts legte eines der (nicht begünstigten) Kinder Beschwerde ein mit der Begründung, dass der Übertragungsvertrag gleichzeitig ein Testament sei, in dem das begünstigte Kind von der Erbfolge ausgeschlossen wurde.
Das OLG Brandenburg hat sich dieser Sichtweise angeschlossen und der Beschwerde stattgegeben.
Entscheidungsgründe:
Das OLG sieht in dem lebzeitigen Überlassungsvertrag eine Verfügung von Todes wegen, durch die das begünstigte Kind von der Erbfolge ausgeschlossen wurde. Der notarielle Überlassungsvertrag stelle zugleich ein ordentliches Testament dar. Dass der Vertrag nicht als Testament, sondern als „vorweggenommene Erbfolge“ bezeichnet wurde, sei wegen der Auslegungsbedürftigkeit des Begriffs unschädlich. Entscheidend sei, ob dem Vertrag eindeutig der Wille zu entnehmen ist, eine letztwillige Verfügung zu errichten, mit der zugleich auch eine Enterbung des Empfängers mit bloßer Pflichtteilsberechtigung verbunden ist. Hierzu verweist das OLG auf ein BGH-Urteil vom 27.1.2010 (Az.: IV ZR 91/09), wonach in der unentgeltlichen Zuwendung eines Vermögenswertes in einem notariellen Überlassungsvertrag im Wege der vorweggenommenen Erbfolge zugleich eine Enterbung mit bloßer Pflichtteilsberechtigung liegen kann, wenn der diesbezügliche Erblasserwille im Übertragungsvertrag eindeutig zum Ausdruck kommt.
Aus der Formulierung in dem Vertrag, dass die Überlassung „unter Anrechnung auf den Pflichtteil“ erfolgen soll, lasse sich eindeutig auf eine stillschweigende Enterbung schließen. Die Erblasserin habe sich nicht nur auf die Anrechnung der Zuwendung auf den Erbteil beschränkt, sondern auch eine Anrechnung auf den Pflichtteil angeordnet. Die Anrechnungsbestimmung könne per Gesetz (§ 2315 BGB) nur den Pflichtteilsberechtigten, nicht aber den gesetzlichen Erben, treffen. Auch der gegenständlich beschränkte Verzicht auf das Pflichtteilsrecht der übrigen Kinder spreche dafür, dass das im Wege der vorweggenommenen Erbfolge bedachte Kind nicht über den Ausschluss von Pflichtteilsergänzungsansprüchen hinaus noch als gesetzlicher Erbe am Nachlass der Erblasserin partizipieren sollte.
Einordnung für die aktuelle Rechtslage:
Die in dem entschiedenen Fall verwendete Vertragsformulierung über die Überlassung unter Anrechnung auf den Pflichtteil und einem gegenständlich beschränkten Pflichtteilsverzicht der übrigen Kinder ist eine im Notarvertrag üblicherweise enthaltene „Standardformulierung“. Konsequent zu Ende gedacht führt die Auslegung des OLG mithin dazu, dass in einer Vielzahl von Fällen bei Beurkundung des Schenkungsvertrags zugleich die „stillschweigende Enterbung“ mitbeurkundet wird/wurde. Schon deshalb ist die Entscheidung nach Veröffentlichung auf starke Kritik gestoßen, vgl. etwa Schmidt/Wegerhoff, FGPrax 2023, 122; Heckschen, NotBZ 2023, 176; Litzenburger, ZEV 2023, 32; Lotte, DNotZ 2023, 305.
Die vorgenannten Entscheidungsbesprechungen zeigen auf, dass die Erwägungen des OLG nicht nur im Ergebnis, sondern auch inhaltlich unzutreffend sind: Der Verweis auf die oben genannte BGH-Entscheidung geht schon deshalb fehl, weil die den beiden Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalte nicht miteinander vergleichbar sind. Im BGH-Urteil ging es zwar ebenfalls um eine unentgeltliche Zuwendung im Wege vorweggenommener Erbfolge, jedoch ohne dass der Überlassungsvertrag weitere Regelungen zu den Auswirkungen auf das Erb- und Pflichtteilsrecht enthielt. Denn allein mit Rücksicht hierauf war seitens des BGH durch Auslegung zu ermitteln, ob der Erblasser eine Anrechnung auf den Pflichtteil, eine Ausgleichung oder beides anordnen wollte. Diese Frage stellte sich in dem konkret zu beurteilenden Fall jedoch gerade nicht. Zudem folgt aus einer Anrechnungsbestimmung nicht zwingend die Anordnung der Enterbung; die Anrechnungsbestimmung kann auch für die bloße Möglichkeit, dass in Zukunft der Begünstigte enterbt werden sollte, getroffen werden. Zuletzt spricht der Umstand, dass ein gegenständlich beschränkter Pflichtteilsverzicht erklärt wurde, eher gegen die Enterbung, als – wie es das OLG meint – dafür. Die gegenständliche Beschränktheit des Pflichtteilsverzichts zeigt, dass dadurch keine umfassende Regelung bzgl. der Erbschaft, sondern nur betreffend die Immobilie getroffen werden sollte.
Im Ergebnis ist die vorgenommene Auslegung des Übertragungsvertrags nach den gegebenen Umständen des Falls eher fernliegend und die Entscheidung (hoffentlich) eher Einzelfall als künftige Rechtsprechungspraxis.
Praxishinweis
Die Schenkung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge ist ein wegen der schenkungsteuerlichen Freibeträge in der Praxis häufig anzutreffendes Mittel der Nachfolgeplanung. Regelungen zu zukünftigen Pflichtteilsansprüchen sind in den diesbezüglichen Verträgen eher Regelfall als Ausnahme. Unabhängig davon, ob man der Entscheidung des OLG inhaltlich zustimmt oder nicht, zeigt sie, dass die Gestaltung von Verträgen und letztwilligen Verfügungen bei der Nachfolgeplanung im Nachhinein zu zivilrechtlichem Konfliktpotenzial zwischen den Erben führen kann. Eine rechtzeitige qualifizierte Beratung von Fachleuten ist daher unerlässlich, um das Risiko eines späteren Streits weitgehend zu reduzieren.
Möchte man die hier vom OLG gezogenen Schlussfolgerungen von vornherein vermeiden, ist ein „Nebeneinander“ von Schenkungsvertrag und Testament notwendig, die inhaltlich aufeinander abgestimmt sind. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Auslegung des Überlassungsvertrags als stillschweigende Enterbung im Rahmen einer letztwilligen Verfügung zu vermeiden. Etwa kann klargestellt werden, dass mit den Vereinbarungen im Übertragungsvertrag keine Änderung der Erbfolge herbeigeführt werden soll. Außerdem kann die Anrechnungsbestimmung so formuliert werden, dass sie sich auf den „etwaigen“ Pflichtteil des Bedachten bezieht.