[1] Ehegatten-Vorschaltmodell anerkannt: Die wirtschaftlich unabhängige Klägerin erwarb einen Pkw und verleaste ihn zu fremdüblichen Bedingungen an ihren Ehemann, der das Fahrzeug für seine Tätigkeit als freiberuflicher Arzt nutzte. Der BFH hat mit Urt. V R 29/20 v. 29.9.2022 den Vorsteuerabzug für die Pkw-Anschaffung anerkannt, weil die Klägerin eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt hat. Es lag kein Scheingeschäft vor. Weil der Vorsteuerabzug eines Pkw-Vermieters nicht systemwidrig ist, die Klägerin wirtschaftlich unabhängig handelte und es bei dem Fahrzeug nicht in Wahrheit um ein Familienfahrzeug handelte, konnte auch kein Gestaltungsmissbrauch iS von § 42 AO vorliegen.
Anm.: Die Sache wurde deshalb zurückverwiesen, weil die Klägerin das Fahrzeug in geringem Umfang auch für Privatfahrten nutzte und deshalb die unentgeltliche Verwendung besteuert werden muss. – Im Streitfall wurde durch das FA vorgebracht, dass die Ehefrau zT Wartungskosten abweichend von den vertraglichen Vereinbarungen getragen hat. Der BFH hat hervorgehoben, dies sei für die Beurteilung, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt, nicht relevant, weil umsatzsteuerrechtlich die „Familienrechtsprechung“ (Fremdvergleich) nicht einschlägig ist. Für die Annahme einer unternehmerischen Tätigkeit ist auch nicht ein nach außen erkennbares Auftreten „auf dem Markt“ erforderlich. [kk]
[2] Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG sind Grundstücksveräußerungsgewinne von der Besteuerung ausgenommen, soweit das Gebäude eigenen Wohnzwecken dient. Diese Voraussetzung ist jedoch nicht erfüllt, soweit in einem selbst genutzten Wohnhaus (hier: Reihenhaus) einzelne Räume gelegentlich – zB an Messegäste – vermietet werden, BFH-Urt. IX R 20/21 v. 19.7.2022. Es ist in diesen Fällen eine Aufteilung des Veräußerungsgewinns vorzunehmen, deren Maßstab die Wohnflächen sind; dabei bleibt die Mitbenutzung des übrigen Gebäudes durch die Mieter der Einzelzimmer (zB bei Badmitbenutzung) außer Betracht (insoweit liegt also eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken vor). Es besteht für die anteilige Steuerpflicht der Veräußerung keine Bagatellgrenze. [kk]
[3] Der Anwendungsbereich für anschaffungsnahe Aufwendungen iS des § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG ist auf bauliche Maßnahmen an Einrichtungen des Gebäudes oder am Gebäude selbst beschränkt. Aufwendungen, die durch die Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen lediglich (mit-)veranlasst sind, gehören dazu nicht. Deshalb ist die Abfindung, die der Stpfl. für die vorzeitige Kündigung des Mietvertrags und die Räumung der Wohnung an seinen Mieter zahlt, um das Gebäude renovieren zu können, nicht einzubeziehen, BFH-Urt. XI R 29/21 v. 20.9.2022. [kk]
[4] Im Urt. III R 56/20 v. 1.6.2022 hat sich der BFH mit der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 Buchst. d GewStG für Aufwendungen auseinandergesetzt, die ein Obst- und Gemüsevermarkter als Nutzungsvergütungen für Mehrwegbehältnisse (sog. Steigen, Boxen, Paletten usw.) getätigt hat. Bei der Beurteilung hat der Senat zwischen zwei Vertragsvarianten unterschieden: (a) Keine Hinzurechnung erfolgt, wenn das Vertragsverhältnis neben der Gebrauchsüberlassung auch umfangreiche Werk-, Dienstleistungs- und Transportvertragselemente umfasst und diese dem gesamtvertraglichen Leistungsbündel das Gepräge geben. (b) Wenn ein Handelsunternehmen jedoch seinem mit ihm in einer dauerhaften Geschäftsbeziehung stehenden Lieferanten vorgibt, dass dieser die Ware in einem bestimmten Steigentyp zu liefern hat, führt eine wiederholte Anmietung dieses Steigentyps bei fingiertem Eigentum zur Annahme von Anlagevermögen und zur Hinzurechnung.
Anm.: Hinsichtlich der Menge der jeweils bestellten Mehrwegsteigen orientierte sich die Klägerin eng an dem jeweiligen Warenbedarf der Kunden. Die Art und Menge der jeweils benötigten Mehrwegsteigen gab jeweils die Kundschaft (Einzelhändler) vor. Die Mehrwegsteigen waren idR ein bis drei Tage bei der Klägerin im Umlauf (sie hielt keinen längerfristigen Bestand). Die nicht hinzurechnungspflichtigen Aufwendungen sind aus einem Vertrag entstanden, der zwar als Mietvertrag bezeichnet worden ist, dem zufolge der Vertragspartner jedoch ein Gesamtmanagement betrieb, das von Dienstleistungen geprägt war. Aus einem Pool von Transportbehältnissen stellte der Vertragspartner jeweils konkret für anstehende Lieferungen von Obst und Gemüse benötigte Steigen zur Verfügung, und zwar unmittelbar an die Zulieferer der Klägerin (Vereinigungen von Erzeugern landwirtschaftlicher Produkte), holte diese Mehrwegbehältnisse sogleich nach Auslieferung der Ware wieder ab, reinigte sie, um sie dann erneut zu diesem Zweck zu verwenden. Nach den Feststellungen des FG waren die Dienstleistungselemente des Vertrags so dominant, und die Nutzungsentgeltkomponente war davon nicht trennbar. [kk]
[5] Der BFH hat seine Rspr. (und die des EuGH) bestätigt: Bestehen objektive Anhaltspunkte dafür, dass ein Teil eines Gebäudeneubaus für unternehmerische Zwecke verwendet werden soll und wird dies bis zum Ablauf der Abgabefrist für die Umsatzsteuerjahreserklärung erkennbar, bedarf es keiner zusätzlichen Äußerung gegenüber dem FA für die Zuordnungsentscheidung, Urt. V R 4/20 v. 29.9.2022.
Anm.: Im Streitfall hat der BFH im Abschluss eines Mietvertrags mit Umsatzsteuerausweis während des VZ sowie aus den Bezeichnungen in Bauplänen und in einem Fragebogen zur Einheitsbewertung eine hinreichende Dokumentation der Zuordnungsentscheidung erblickt. Die Sache wurde dennoch zurückverwiesen, weil das FG, das aA war, die Höhe des Vorsteuerabzugs nicht geprüft hat. [kk]
[6] Der gelegentliche Erwerb eines nicht genutzten (Luxus-)Pkw –im Streitfall durch eine Komplementär-GmbH – mit dem Ziel, ihn später mit Gewinn zu veräußern, ist keine nachhaltige unternehmerische Tätigkeit, so dass der Vorsteuerabzug nach § 15 UStG nicht zulässig ist, Urt. des BFH V R 26/21 v. 8.9.2022.
Anm.: Klägerin war eine Komplementär-GmbH, die mit ihrer geringfügigen Geschäftsführer- und Haftungsvergütung aus der KG unternehmerisch tätig war. Der alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer war auch Kommanditist der KG, deren Komplementärin die GmbH war, und hatte zuvor sein Einzelunternehmen in die KG eingebracht. Die GmbH erwarb zwei Pkw, die mit dem Ziel eines etwaigen späteren Verkaufs eingelagert wurden. Der BFH hat die Zuordnung der Fahrzeuge zum Unternehmen der Komplementär-GmbH abgelehnt, weil die beabsichtigte Veräußerung einzelner Gegenstände keine nachhaltige unternehmerische Tätigkeit ist und die Pkw-Veräußerungen auch nicht in einem sachlichen Zusammenhang mit der unternehmerischen Tätigkeit der GmbH im Übrigen standen. [kk]
[7] Der BFH hatte mit Urt. VIII R 33/18 v. 16.2.2022, BStBl. 2022 II, 614, entschieden, die Aufwendungen eines Trauerredners und Trauerbegleiters für die speziell bei der Tätigkeit getragene Bekleidung (schwarzer Anzug usw.) seien nach § 12 Nr. 1 EStG als sog. bürgerliche Kleidung nicht als Betriebsausgaben abzugsfähig. Für denselben Fall hat der BFH mit Urt. XI R 3/22 v. 24.8.2022 entschieden, ihm stehe auch nicht der Vorsteuerabzug zu. Dieser sei auch ausgeschlossen, soweit der Stpfl. Kleidungsaufwendungen für seine Ehefrau getragen hat, die bei ihm angestellt war. Gestützt worden ist die Beurteilung auf § 15 Abs. 1a Satz 1 UStG.
Anm.: Offengelassen hat der BFH, ob das Abzugsverbot nach § 15 Abs. 1a Satz 1 UStG iVm. § 12 Nr. 1 EStG unionsrechtskonform ist, weil der Kläger sich im Streitfall nicht auf das Unionsrecht berufen hat. Der an der Entscheidung des BFH zum Ertragsteuerrecht geübten Kritik (s. zB Strahl, NWB 2022, 1823) mag der Senat nicht folgen. [kk]
[8] Der BFH hatte mit Urt. X R 14/21 v. 19.10.2022 darüber zu entscheiden, ob eine wirksame förmliche Ersatzzustellung erfolgt ist, was entscheidend für die Einhaltung der Revisionsfrist war. Grundsätzlich setzt eine wirksame Ersatzzustellung durch Einlegen in einen Briefkasten (§ 180 ZPO) voraus, dass zuvor ein erfolgloser Versuch der Ersatzzustellung in der Wohnung oder in den Geschäftsräumen des Adressaten (§ 178 Abs. 1 Nr. 1, 2 ZPO) unternommen wurde. Der BFH entschied, dass dies auch für Zustellungen während der COVID-19-Pandemie gilt. Allein aus den allgemeinen, während der Pandemie geltenden Kontaktbeschränkungen kann nicht abgeleitet werden, dass in dieser Zeit eine Ersatzzustellung durch Einlegen in einen Briefkasten ohne vorherigen Versuch der Ersatzzustellung in der Wohnung oder in den Geschäftsräumen als wirksam anzusehen wäre. [kk]